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auf den ersten Blick wohl Niemand der Gedanke kommen, dass die vollkommene Durchsichtigkeit der Quallen oder Medusen von dem höchsten Nutzen für sie als ein Schutzmittel sei; wenn wir aber von Häckel daran erinnert werden, dass nicht bloss die Medusen, sondern auch viele oceanische Molusken, Crustaceen und selbst kleine oceanische Fische dieselbe glasähnliche Beschaffenheit, häufig von prismatischen Farben begleitet, darbieten, so können wir kaum daran zweifeln, dass sie durch dieselbe der Aufmerksamkeit pelagischer Vögel und anderer Feinde entgehen. Mr. Giard ist auch überzeugt[1], dass die hellen Farben gewisser Spongien und Ascidien ihnen zum Schutze dient. Auffallende Färbungen sind für viele Thiere auch in so fern wohlthätig, als sie die Thiere, welche sie zu verschlingen Lust hätten, warnen, dass sie widrig sind oder dass sie gewisse specielle Vertheidigungsmittel besitzen; dieser Gegenstand wird aber besser später erörtert werden.

In unsrer Unwissenheit über die meisten niedern Thiere können wir nur sagen, dass ihre prachtvollen Farben das directe Resultat entweder der chemischen Beschaffenheit oder der feineren Structur ihrer Körpergewebe sind und zwar unabhängig von irgend einem daraus fliessenden Vortheile. Kaum irgend eine Farbe ist schöner als das arterielle Blut; es ist aber kein Grund vorhanden zu vermuthen, dass die Farbe des Blutes an sich irgend ein Vortheil sei; und wenn sie auch dazu beiträgt, die Schönheit der Wangen eines Mädchens zu erhöhen, so wird doch Niemand behaupten wollen, dass sie zu diesem Zwecke erlangt worden sei. So ist ferner bei vielen Thieren, und besonders bei den niederen, die Galle intensiv gefärbt; in dieser Weise ist z. B. die ausserordentliche Schönheit der Eoliden (nackter Seeschnecken), wie mir Dr. Hancock mitgetheilt hat, hauptsächlich eine Folge der durch die durchscheinenden Hautbedeckungen hindurch gesehenen Gallendrüsen; und wahrscheinlich ist diese Schönheit von keinem Nutzen für diese Thiere. Die Färbungen der absterbenden Blätter in einem americanischen Walde werden von Allen, die sie gesehen haben, als prachtvoll beschrieben; und doch nimmt Niemand an, dass diese Färbungen für die Bäume von dem allergeringsten Nutzen sind. Erinnert man sich daran, wie viele Substanzen neuerlich von Chemikern gebildet worden sind, welche natürlichen organischen Verbindungen


  1. Archives de Zoologie experimentale. Tom. I. 1872, p. 563.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/357&oldid=- (Version vom 31.7.2018)