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zu der Vermuthung, dass derartige Verschiedenheiten durch geschlechtliche Zuchtwahl gehäuft worden seien. Einrichtungen, mittelst deren das Männchen das Weibchen hält und welche für die Fortpflanzung der Species unentbehrlich sind, sind unabhängig von geschlechtlicher Zuchtwahl und sind durch gewöhnliche Zuchtwahl erlangt worden.

Viele von den niederen Thieren, mögen sie hermaphroditisch oder getrenntgeschlechtlich sein, sind mit den glänzendsten Farbentönen geziert oder in einer eleganten Art und Weise schattirt oder gestreift. Dies ist z. B. der Fall bei vielen Corallen und See-Anemonen (Actiniae), bei einigen Quallen (Medusae, Porpita u. s. w.), bei manchen Planarien, Ascidien, zahlreichen Seesternen, Seeigeln u. s. w.; wir können aber aus den bereits angeführten Gründen, nämlich aus der Vereinigung der beiden Geschlechter bei einigen dieser Thiere, dem dauernd festgehefteten Zustande anderer und den niedrigen Geisteskräften aller, schliessen, dass solche Farben nicht als geschlechtliche Anziehungsreize dienen und nicht durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Man muss im Auge behalten, dass wir in keinem einzigen Falle hinreichende Beweise dafür haben, dass Färbungen in dieser Weise erlangt worden sind, ausgenommen wenn das eine Geschlecht glänzender oder auffallender gefärbt ist als das andere und wenn keine Verschiedenheit in den Lebensgewohnheiten der beiden Geschlechter besteht, welche diese Abweichungen erklären könnte. Der Beweis hierfür wird aber so vollständig, als er je sein kann, nur dann, wenn die bedeutender verzierten Individuen, welches fast immer die Männchen sind, ihre Reize willkürlich vor dem andern Geschlechte entfalten; denn wir können nicht annehmen, dass eine derartige Entfaltung nutzlos ist; und ist sie von Vortheil, so wird auch fast unvermeidlich geschlechtliche Zuchtwahl die Folge sein. Wir können indessen diese Folgerung auch auf beide Geschlechter, wenn sie gleich gefärbt sind, in dem Falle ausdehnen, dass ihre Färbung derjenigen des in gewissen andern Species derselben Gruppe allein so gefärbten Geschlechts offenbar analog ist.

Wie haben wir denn nun die schönen oder selbst prachtvollen Farben vieler Thiere der niedersten Classen zu erklären? Es erscheint sehr zweifelhaft, ob derartige Färbungen häufig zum Schutze dienen; doch sind wir in dieser Hinsicht äusserst leicht einem Irrthum ausgesetzt, wie jeder zugeben wird, welcher Mr. Wallace’s ausgezeichnete Abhandlung über diesen Gegenstand gelesen hat. Es würde z. B.


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/356&oldid=- (Version vom 31.7.2018)