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In der entomologischen Gesellschaft führte Mr. Janson an, dass die Weibchen des Rinden fressenden Tomicus villosus so häufig sind, dass sie zu einer Plage werden, während die Männchen so selten sind, dass man sie kaum kennt. Es ist kaum der Mühe werth, etwas über die Verhältnisszahlen der Geschlechter bei gewissen Arten und selbst Gruppen von Insecten zu sagen; denn die Männchen sind unbekannt oder sehr selten und die Weibchen parthenogenetisch, d. h. fruchtbar ohne Begattung; Beispiele hierfür bieten mehrere Formen der Cynipiden dar.[1] Bei allen gallenbildenden Cynipiden, welche Mr. Walsh bekannt sind, sind die Weibchen vier- oder fünfmal so zahlreich als die Männchen; dasselbe ist auch, wie er mir mittheilt, bei den gallenbildenden Cecidomyidae (Zweiflügler) der Fall. Von einigen gemeinen Species der Blattwespen (Tenthredinae) hat Mr. F. Smith Hunderte von Exemplaren aus Larven aller Grössen erzogen, hat aber niemals ein einziges Männchen erhalten. Auf der anderen Seite sagt Curtis,[2] dass sich bei mehreren von ihm aufgezogenen Arten (Athalia) die Männchen zu den Weibchen wie sechs zu eins verhielten, während bei den geschlechtsreifen, in den Feldern gefangenen Insecten der nämlichen Species genau das umgekehrte Verhältniss beobachtet wurde. Aus der Familie der Bienen sammelte Hermann Müller[3] eine grosse Zahl von Exemplaren vieler Arten, erzog andere aus den Cocons und zählte die Geschlechter. Er fand, dass bei einigen Species die Männchen an Zahl bedeutend die Weibchen übertreffen; bei andern trat das Umgekehrte ein, und bei noch andern waren die beiden Geschlechter nahezu gleich. Da aber in den meisten Fällen die Männchen die Puppenhülle vor den Weibchen verlassen, so sind sie beim Beginn der Paarungszeit praktisch im Ueberschuss. Müller beobachtete auch, dass die relative Zahl der beiden Geschlechter bei einigen Arten bedeutend in verschiedenen Oertlichkeiten differire. Wie mir aber H. Müller selbst mitgetheilt hat, müssen diese Bemerkungen mit Vorsicht aufgenommen werden, da das eine Geschlecht der Beobachtung leichter entgehen könnte als das andere. So hat sein Bruder Fritz Müller beobachtet, dass in Brasilien die beiden Geschlechter einer und derselben Species von Bienen verschiedene Blumenarten besucht. In Bezug auf Orthoptern weiss ich kaum irgend etwas über die relative Anzahl der Geschlechter: indessen sagt Körte,[4] dass unter 500 Heuschrecken, die er untersuchte, sich die Männchen zu den Weibchen wie fünf zu sechs verhielten. In Bezug auf die Neuroptern führt Mr. Walsh an, dass bei vielen, aber durchaus nicht bei allen Arten der Odonaten-Gruppe (Ephemerina) ein bedeutender Ueberschuss an Männchen existirt; auch bei der Gattung Hetaerina sind die Männchen mindestens viermal so zahlreich als die Weibchen. Bei gewissen Arten der Gattung Gomphus sind die Männchen in gleicher Anzahl mit den Weibchen vorhanden, während in zwei anderen Species die Weibchen zwei- oder dreimal so zahlreich sind als die Männchen. Von einigen europäischen Species von


  1. Walsh, in: The American Entomologist. Vol. I, 1869, p. 103. F. Smith, in: Record of zoological Literature. 1867. p. 328.
  2. Farm-Insects. p. 45-46.
  3. Anwendung der Darwin’schen Lehre auf Bienen, in: Verhandl. d. nat. Ver. d. preuss. Rheinl. 29. Jahrg. 1872.
  4. Die Strich-, Zug- und Wanderheuschrecke. 1828, p. 20.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/347&oldid=- (Version vom 31.7.2018)