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Auch bei den Cypriniden scheinen die Männchen in der Mehrzahl vorhanden zu sein; aber mehrere Glieder dieser Familie, nämlich der Karpfen, die Schleihe, der Brachsen und die Elritze, folgen dem Anscheine nach dem im Thierreiche seltenen Gebrauche der Polyandrie: denn beim Laichen begleiten stets zwei Männchen das Weibchen, eines auf jeder Seite, und beim Brachsen sogar drei oder vier. Diese Thatsache ist so wohl bekannt, dass es allgemein empfohlen wird, beim Besetzen eines Teiches zwei männliche Schleihen auf ein Weibchen oder wenigstens drei Männchen auf zwei Weibchen zu nehmen. In Bezug auf die Elritze führt ein ausgezeichneter Beobachter an, dass auf den Laichplätzen die Männchen zehnmal so zahlreich sind als die Weibchen; sobald ein Weibchen unter die Männchen kommt, »drücken sich sofort zwei Männchen, auf jeder Seite eines, an dasselbe heran, und wenn sie sich eine Zeit lang in dieser Situation befunden haben, werden sie von zwei andern Männchen abgelöst«.[1]

Insecten.

Aus dieser grossen Classe bieten nur die Lepidopteren die Mittel dar, über die proportionalen Zahlen der Geschlechter zu einem Urtheile zu gelangen: denn diese sind von vielen guten Beobachtern mit besonderer Sorgfalt gesammelt und vom Ei oder vom Raupenzustand an in grosser Zahl erzogen worden. Ich hatte gehofft, dass mancher Züchter von Seidenwürmern vielleicht eine sorgfältige Liste geführt haben würde; aber nachdem ich nach Frankreich und Italien geschrieben und verschiedene Abhandlungen eingesehen habe, kann ich nur sagen, dass ich nirgends finde, dass dies jemals geschehen ist. Die allgemeine Meinung scheint dahin zu gehen, dass die Geschlechter in ziemlich gleicher Zahl auftreten; wie ich aber von Prof. Canestrini höre, sind in Italien viele Züchter überzeugt, dass die Weibchen in der Mehrzahl erzeugt werden. Indessen theilt mir derselbe Forscher mit, dass von den beiden jährlichen Zuchten des Ailanthus-Seidenwurms (Bombyx cynthia) die Männchen in der ersten bedeutend überwiegen, während in der zweiten die Geschlechter ziemlich in gleicher Anzahl oder vielleicht die Weibchen eher in Mehrzahl auftreten.

Was die Schmetterlinge im Naturzustande betrifft, so sind mehrere Beobachter sehr von dem, allem Anscheine nach enormen Uebergewicht der Männchen frappirt worden.[2] So sagt Mr. Bates,[3] wo er von den, und zwar nicht weniger als ungefähr einhundert Arten spricht, welche den oberen Theil des Amazonenstromes bewohnen, dass die Männchen viel zahlreicher sind als die Weibchen, sogar selbst bis zum Verhältniss von hundert zu einem. In Nord-America schätzt Edwards, welcher bedeutende Erfahrung hatte, bei der Gattung Papilio die Männchen zu den Weibchen


  1. Yarrell. History of British Fishes. Vol. I. 1836, p. 307; über Cyprinus carpio p. 331; über Tinca vulgaris p. 331; über Abramis brama p. 336. In Bezug auf die Elritze (Leuciscus phoxinus) s. Loudon’s Mag. of Natur. Hist. Vol. V. 1832, p. 682..
  2. Leuckart citirt Meinecke (Wagner’s Handwörterbuch der Physiol. Bd. 4, 1853. S. 775) in Bezug auf die Angabe, dass bei Schmetterlingen die Männchen drei- bis viermal zahlreicher sind als die Weibchen.
  3. The Naturalist on the Amazons. Vol. II. 1863, p. 228, 347.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/342&oldid=- (Version vom 31.7.2018)