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Fische.

Bei Fischen können die Zahlenverhältnisse der beiden Geschlechter nur dadurch ermittelt werden, dass sie im erwachsenen oder fast erwachsenen Zustande gefangen werden; und auch dann noch sind viele Umstände vorhanden, welche das Erreichen irgend einer richtigen Folgerung erschweren.[1] Unfruchtbare (»gelte«) Weibchen können leicht für Männchen genommen werden, wie Dr. Günther in Bezug auf die Forelle gegen mich bemerkt hat. Man glaubt, dass bei einigen Species die Männchen sehr bald sterben, nachdem sie die Eier befruchtet haben. Bei vielen Species sind die Männchen von viel geringerer Grösse als die Weibchen, so dass eine grosse Zahl von Männchen aus demselben Netze entschlüpfen können, mit welchem die Weibchen gefangen werden. Mr. Carbonnier,[2] welcher der Naturgeschichte des Hechtes (Esox lucius) eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat, gibt an, dass viele Männchen in Folge ihrer geringeren Grösse von den grösseren Weibchen verschlungen werden; auch ist er der Ansicht, dass die Männchen fast aller Fische aus derselben Ursache grösserer Gefahr ausgesetzt sind als die Weibchen. Nichtsdestoweniger scheinen in den wenigen Fällen, in welchen die proportionalen Zahlen der Geschlechter wirklich beobachtet worden sind, die Männchen in bedeutender Ueberzahl vorhanden zu sein. So gibt Mr. R. Buist, der Oberaufseher der in Stormontfield eingerichteten Versuche, an, dass im Jahre 1865 unter 70 wegen der Beschaffung von Eiern an’s Land gezogenen Lachsen über 60 Männchen waren. Auch im Jahre 1867 lenkt er die Aufmerksamkeit »auf das ungeheure Misverhältniss der Männchen zu den Weibchen. Wir hatten im Anfange mindestens 10 Männchen auf 1 Weibchen«. Später wurden Weibchen in genügender Anzahl zur Erlangung von Eiern gefangen. Er fügt hinzu: »wegen der verhältnissmässig so grossen Anzahl von Männchen kämpfen und zerren sie sich beständig auf den Laichplätzen herum«.[3] Ohne Zweifel lässt sich dies Misverhältniss wenigstens zum Theil, ob ganz ist sehr zweifelhaft, dadurch erklären, dass die Männchen vor den Weibchen in den Flüssen stromaufwärts wandern. In Bezug auf die Forelle, bemerkt Mr. Fr. Buckland: »es ist eine merkwürdige Thatsache, dass die Männchen an Zahl sehr bedeutend die Weibchen übertreffen. Es findet sich ausnahmslos, dass, wenn die Fische zuerst in die Netze fahren, sich zum wenigsten sieben oder acht Männchen auf ein Weibchen gefangen haben. Ich kann dies nicht vollständig erklären; entweder die Männchen sind zahlreicher als die Weibchen oder die letztern suchen sich eher durch Verbergen als durch Flucht zu retten«. Er fügt dann hinzu, dass man durch sorgfältiges Absuchen der Ufer hinreichend Weibchen zur Gewinnung der Eier erlangen könne.[4] Mr. H. Lee theilt mir mit, dass unter 212 zu diesem Zwecke in Lord Portsmouth’s Parke gefangenen Forellen 150 Männchen und 62 Weibchen sich fanden.


  1. Leuckart citirt Bloch (Wagner’s Handwörterbuch der Physiol. Bd. 4. 1853, S. 775), dass bei Fischen zweimal so viel Männchen als Weibchen vorkommen.
  2. Citirt in „The Farmer“, March 18. 1869, p. 369
  3. The Stormontfield Piscicultural Experiments, p. 23. „The Field“, 29. Juni, 1867.
  4. Land and Water, 1868, p. 41.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/341&oldid=- (Version vom 31.7.2018)