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können wir nicht sagen. Es könnte sein, doch bin ich nicht völlig von dieser Ansicht zufriedengestellt, dass sie in Folge ihres Lebens auf Bäumen und wegen ihrer grossen Kraft nur wenigen Gefahren ausgesetzt waren und deshalb während einer langen Zeit ihre Ohren nur wenig bewegt und dadurch allmählich das Vermögen, sie zu bewegen, verloren haben. Dies würde ein paralleler Fall mit dem jener grossen und schweren Vögel sein, welche das Vermögen, ihre Flügel zum Fluge zu gebrauchen, in Folge des Umstands verloren haben, dass sie oceanische Inseln bewohnen und daher den Angriffen von Raubthieren nicht ausgesetzt gewesen sind. Die Unfähigkeit des Menschen und mehrerer Affen, die Ohren zu bewegen, wird indessen zum Theil dadurch ausgeglichen, dass sie den Kopf sehr frei in einer horizontalen Ebene bewegen und somit Laute aus allen Richtungen her auffangen können. Es ist behauptet worden, dass nur das Ohr des Menschen ein Läppchen besitze; „ein Rudiment ist aber beim Gorilla zu finden“;[1] und wie ich von Prof. Preyer höre, fehlt es nicht selten beim Neger.

Der berühmte Bildhauer Mr. Woolner theilt mir eine kleine Eigenthümlichkeit am äusseren Ohre mit, welche er oft sowohl bei Männern wie bei Frauen beobachtet und deren volle Bedeutung er erfasst hat. Seine Aufmerksamkeit wurde zuerst auf den Gegenstand gerichtet, als er seine Statue des „Puck“ arbeitete, welchem er spitze Ohren gegeben hatte.

Fig. 2.
Menschliches Ohr, modellirt und gezeichnet von Mr. Woolner.
a) der vorspringende Punkt.

Er wurde hierdurch veranlasst, die Ohren verschiedener Affen und später noch sorgfältiger die des Menschen zu untersuchen. Die Eigenthümlichkeit besteht in einem kleinen stumpfen, von dem inneren Rande der äusseren Falte oder des Helix vorspringenden Punkte. Wenn er vorhanden ist, ist er bei der Geburt schon entwickelt und findet sich, nach Prof. Ludwig Meyer, häufiger beim Manne als bei der Frau. Mr. Woolner hat ein sorgfältiges Modell eines solchen Falles gemacht und mir die beistehende Zeichnung (Fig. 2) geschickt.

Dieser Punkt springt nicht bloss nach innen nach dem Mittelpunkte des Ohres hin, sondern oft etwas nach aussen von der Ebene des Ohres vor, so dass er sichtbar wird, wenn der Kopf direct von vorn oder


  1. Mr. St. George Mivart, Elementary Anatomy. 1873, p. 396.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1878, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/33&oldid=- (Version vom 31.7.2018)