Stande, zu sagen, dass die Hörner bei dieser Rasse später im Leben entwickelt werden als bei gewöhnlichen Schafen, bei denen beide Geschlechter gehörnt sind. Es ist aber bei domesticirten Schafen das Vorhandensein oder das Fehlen der Hörner kein scharf fixirter Character; denn eine gewisse relative Zahl von Merinomutterschafen trägt kleine Hörner und einige Widder sind hornlos, während bei den meisten Rassen hornlose Mutterschafe auch gelegentlich geboren werden.
Dr. W. Marshall hat neuerdings die Protuberanzen, welche so häufig am Kopfe von Vögeln auftreten, speciell studirt[1] und gelangt zu dem folgenden Schlusse, dass sie sich bei denjenigen Arten, bei denen sie auf die Männchen beschränkt sind, spät im Leben entwickeln, während sie bei den Arten, bei denen sie beiden Geschlechtern zukommen, in einer sehr frühen Periode entwickelt werden. Sicherlich ist dies eine auffallende Bestätigung meiner zwei Vererbungsgesetze.
Bei den meisten Arten der prachtvollen Familie der Fasanen weichen die Männchen auffallend von den Weibchen ab und erreichen ihre Körperzierde in einer verhältnissmässig späten Periode des Lebens. Der Ohrenfasan (Crossoptilon auritum) bietet indess eine merkwürdige Ausnahme dar, denn hier besitzen beide Geschlechter die schönen Schwanzfedern, die grossen Ohrbüschel und den scharlachnen Sammet um den Kopf; und ich finde, dass alle die Charactere in Uebereinstimmung mit unserem Gesetze sehr zeitig im Leben erscheinen. Das erwachsene Männchen kann indessen vom erwachsenen Weibchen durch das Vorhandensein von Spornen unterschieden werden; und in Uebereinstimmung mit unserer Regel fangen diese, wie mir Mr. Bartlett versichert hat, sich nicht vor dem Alter von sechs Monaten zu entwickeln an und können selbst in diesem Alter die beiden Geschlechter kaum unterschieden werden.[2] Der männliche und weibliche Pfau
- ↑ Ueber die knöchernen Schädelhöcker der Vögel; in: Niederländ. Archiv für Zoologie. Bd. 1. Heft 2, 1872.
- ↑ Beim gemeinen Pfau (Pavo cristatus) besitzt nur das Männchen Sporne, während der Javanische Pfau (Pavo muticus) den ungewöhnlichen Fall darbietet, dass beide Geschlechter mit Spornen versehen sind. Ich glaubte daher sicher erwarten zu dürfen, dass sich dieselben bei der letzten Species früher im Leben entwickeln würden, als beim gemeinen Pfau. Mr. Hegt in Amsterdam theilt mir aber mit, dass bei jungen, zu beiden Species gehörenden Vögeln des vorhergehenden Jahres eine am 23. April 1869 vorgenommene Vergleichung keine Verschiedenheit in der Entwickelung der Sporne zeigte. Indessen waren zu dieser Zeit die Sporne nur durch unbedeutende Höcker oder Erhebungen repräsentirt. Ich glaube annehmen zu dürfen, dass man es mir mitgetheilt haben würde, wenn später irgend eine Verschiedenheit in der Schnelligkeit der Entwickelung bemerklich gewesen wäre.
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/323&oldid=- (Version vom 31.7.2018)