Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/313

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Structur des Spornes durch das Weibchen hindurch auf dessen männliche Nachkommen vererbt. Es werden später viele Fälle angeführt werden, wo das Weibchen mehr oder weniger vollkommen Charactere darbietet, welche dem Männchen eigen sind, bei diesem zuerst entwickelt und dann auf das Weibchen überliefert worden sein müssen. Der umgekehrte Fall, dass sich Charactere zuerst beim Weibchen entwickelt haben und diese dann auf das Männchen überliefert worden sind, ist weniger häufig; es dürfte daher gut sein, ein recht auffallendes Beispiel hierfür anzuführen. Bei Bienen wird der Pollen-sammelnde Apparat allein vom Weibchen zum Einsammeln des Pollens für die Larven benutzt, und doch ist er in den meisten Species theilweise auch bei den Männchen entwickelt, für welche er völlig nutzlos ist, und bei dem Männchen des Bombus, der Hummel, ist er vollkommen entwickelt.[1] Da nicht ein einziger andrer Hymenopter, selbst nicht einmal die Wespe, welche so nahe mit der Biene verwandt ist, mit einem Pollen-sammelnden Apparat versehen ist, so haben wir keinen Grund etwa zu vermuthen, dass ursprünglich die männlichen Bienen ebensogut Pollen einsammelten wie die Weibchen, wenngleich wir etwas Grund haben zu vermuthen, dass ursprünglich männliche Säugethiere ihre Jungen ebensogut säugten wie die Weibchen. In allen Fällen von Rückschlag endlich werden Charactere durch zwei, drei oder viele Generationen hindurch vererbt und dann unter gewissen unbekannten günstigen Bedingungen entwickelt. Diese bedeutungsvolle Unterscheidung zwischen Ueberlieferung und Entwickelung wird am leichtesten im Sinne behalten werden mit Hülfe der Hypothese der Pangenesis. Dieser Hypothese zu Folge stösst jede Einheit oder Zelle des Körpers Keimchen oder unentwickelte Atome ab, welche den Nachkommen beider Geschlechter überliefert werden und sich durch Selbsttheilung vervielfältigen. Sie können während der früheren Lebensjahre oder während aufeinanderfolgender Generationen unentwickelt bleiben: ihre Entwickelung zu kleinsten Einheiten oder Zellen, die denen gleichen, von welchen sie selbst herrühren, hängt von ihrer Verwandtschaft oder Vereinigung mit andern Einheiten oder Zellen ab, die sich vor ihnen im gesetzmässigen Gange des Wachsthums entwickelt haben.


  1. H. Müller, Anwendung der Darwin’schen Lehre etc. in: Verhdlg. d. nat. Ver. d. preuss. Rheinlande etc. XXIX. Jahrg., 1872, p. 42.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/313&oldid=- (Version vom 31.7.2018)