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von Zuchtwahl, in Folge der Verschiedenheit der Constitution dazu, in etwas verschiedener Weise zu variiren. Das Weibchen hat viele organische Substanz auf die Bildung seiner Eier zu verwenden, während das Männchen bedeutende Kraft aufwendet in dem heftigen Kämpfen mit seinen Nebenbuhlern, im Umherwandern beim Aufsuchen des Weibchens, im Anstrengen seiner Stimme, in dem Erguss stark riechender Absonderungen u. s. w.; auch wird dieser Aufwand gewöhnlich auf eine kurze Periode zusammengedrängt. Die bedeutende Kraft des Männchens während der Zeit der Liebe scheint häufig seine Färbung intensiver zu machen, unabhängig von irgend einem auffallenden Unterschiede vom Weibchen.[1] Beim Menschen und dann wieder so niedrig in der Stufenreihe, wie bei den Schmetterlingen, ist die Körpertemperatur beim Männchen höher als beim Weibchen, was den Menschen betrifft, in Verbindung mit einem langsameren Pulse.[2] Im Grossen und Ganzen ist der Aufwand an Substanz und Kraft bei beiden Geschlechtern wahrscheinlich nahezu gleich, wenngleich er auf verschiedene Weise und mit verschiedener Schnelligkeit bewirkt wird.

Es kann in Folge der eben angeführten Ursachen kaum ausbleiben, dass die beiden Geschlechter, wenigstens während der Brütezeit, etwas verschieden in der Constitution sind; und obgleich sie genau den nämlichen Bedingungen ausgesetzt sein mögen, werden sie in etwas verschiedener Art zu variiren neigen. Wenn derartige Abänderungen von keinem Nutzen für eines der beiden Geschlechter sind, werden sie durch geschlechtliche oder natürliche Zuchtwahl nicht gehäuft und verstärkt werden. Nichtsdestoweniger können sie bleibend werden, wenn die erregende Ursache beständig wirkt, und in Uebereinstimmung mit einer häufig vorkommenden Form der Vererbung können sie allein auf das Geschlecht überliefert werden, bei welchem sie zuerst auftraten. In diesem Falle gelangen die beiden Geschlechter dazu, permanente, indess bedeutungslose Verschiedenheiten der Charactere darzubieten.


  1. Professor Mantegazza ist geneigt anzunehmen (Lettera a Carlo Darwin, in: Archivio per l’Anthropologia, 1871, p. 306), dass die bei so vielen männlichen Thieren gewöhnlichen hellen Farben Folge der Gegenwart und Retention von Samenflüssigkeit bei ihnen sind; dies kann aber kaum der Fall sein; denn viele männliche Vögel, z. B. junge Fasanen, werden im Herbste ihres ersten Jahres hell gefärbt.
  2. In Bezug auf den Menschen s. Dr. J. Stockton Hough, dessen Folgerungen in der Popul. Science Review, 1874, p. 97 mitgetheilt sind. s. Girard’s Beobachtungen über Schmetterlinge, angeführt im Zoological Record, 1869, p. 347.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/308&oldid=- (Version vom 31.7.2018)