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haben. Mr. J. Wood,[1] welcher die Abänderungen der Muskeln beim Menschen sorgfältig verfolgt hat, druckt die Schlussfolgerung gesperrt, dass „die grösste Zahl von Abnormitäten an einem einzelnen Leichnam bei den Männern gefunden wird“. Er hatte vorher bemerkt, dass „im Ganzen unter hundertundzwei Leichnamen die Varietäten mit überzähligen Bildungen ein halb Mal häufiger bei Männern vorkommen als bei Frauen, was sehr auffallend gegen die grössere Häufigkeit von Varietäten mit Fehlen gewisser Theile bei Weibern contrastirt, was vorhin besprochen wurde“. Professor Macalister bemerkt gleichfalls,[2] dass Variationen in den Muskeln „wahrscheinlich bei Männern häufiger sind als bei Weibern“. Gewisse Muskeln, welche normal beim Menschen nicht vorhanden sind, finden sich auch häufiger beim männlichen Geschlechte entwickelt als beim weiblichen, obgleich man annimmt, dass Ausnahmen von dieser Regel vorkommen. Dr. Burt Wilder[3] hat hundertzweiundfünfzig Fälle von der Entwickelung überzähliger Finger in Tabellen gebracht. Von diesen Individuen waren 86 männliche und 39, oder weniger als die Hälfte, weibliche, während die übrigbleibenden siebenundzwanzig in Bezug auf ihr Geschlecht unbekannt waren. Man darf indess nicht übersehen, dass Frauen häufiger wohl versuchen dürften, eine Misbildung dieser Art zu verheimlichen, als Männer. Ferner behauptet Dr. L. Meyer, dass die Ohren der Männer in der Form variabler sind als die der Frauen.[4] Endlich ist die Temperatur beim Manne variabler als bei der Frau.[5]

Die Ursache der grösseren allgemeinen Variabilität im männlichen als im weiblichen Geschlecht ist unbekannt, ausgenommen in so weit als secundäre Geschlechtscharactere ausserordentlich variabel und gewöhnlich auf die Männchen beschränkt sind; wie wir sofort sehen werden, ist diese Thatsache bis zu einem gewissen Grade verständlich. Durch die Wirksamkeit der geschlechtlichen und der natürlichen Zuchtwahl sind männliche Thiere in vielen Fällen von ihren Weibchen sehr verschieden geworden; aber die beiden Geschlechter neigen auch, unabhängig


  1. Proceedings of the Royal Society. Vol. XVI. July 1868, p. 519, 524.
  2. Proceed. Royal Irish Academy. Vol. X. 1868, p. 123.
  3. Massachusetts Medical Society. Vol. II. No. 3. 1868. p. 9.
  4. Virchow’s Archiv, 1871, p. 488.
  5. Die Schlussfolgerungen, zu denen neuerdings Dr. Stockton Hough in Bezog auf die Temperatur des Menschen gelangt ist, sind mitgetheilt in: Popul. Science Review, 1. Jan. 1874, p. 97.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/307&oldid=- (Version vom 31.7.2018)