oft verschiedenen Gefahren ausgesetzt sein. Bei vielen Arten von Fischen sind die Männchen viel kleiner als die Weibchen und man glaubt, dass sie oft von den letzteren oder von anderen Fischen verschlungen werden. Bei manchen Vögeln scheint es, als ob die Weibchen zeitiger stürben als die Männchen; auch sind sie einer Zerstörung, während sie auf dem Neste sitzen oder während sie sich um ihre Jungen mühen, sehr ausgesetzt. Bei Insecten sind die weiblichen Larven oft grösser als die männlichen und dürften in Folge dessen wohl häufiger von anderen Thieren gefressen werden. In manchen Fällen sind die reifen Weibchen weniger lebendig und weniger schnell in ihren Bewegungen als die Männchen und werden daher nicht so gut im Stande sein, den Gefahren zu entrinnen. Bei den Thieren im Naturzustande müssen wir uns daher, um über die Verhältnisse der Geschlechter im Reifezustande uns ein Urtheil zu bilden, auf blosse Schätzung verlassen, und diese ist, vielleicht mit Ausnahme der Fälle, wo die Ungleichheit stark markirt ist, nur wenig zuverlässig. Soweit sich aber ein Urtheil bilden lässt, können wir nichtsdestoweniger aus den im Anhange gegebenen Thatsachen schliessen, dass die Männchen einiger weniger Säugethiere, vieler Vögel und einiger Fische und Insecten die Weibchen an Zahl beträchtlich übertreffen.
Das Verhältniss zwischen den Geschlechtern fluctuirt unbedeutend während aufeinanderfolgender Jahre. So variirte bei Rennpferden für je hundert geborener Weibchen die Zahl der Männchen von 107,1 in dem einen Jahre bis zu 92,6 in einem andern Jahre, und bei Windspielen von 116,3 zu 95,3. Wären aber Zahlen aus einem noch ausgedehnteren Bezirke in England ist tabellarisch zusammengestellt worden, so würden wahrscheinlich diese Fluctuationen verschwunden sein; aber auch so wie sie sind dürften sie kaum genügen, um zur Annahme einer wirklichen Thätigkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl im Naturzustande zu führen. Nichtsdestoweniger scheinen bei einigen wenigen wilden Thieren, wie im Anhange gezeigt werden wird, die Proportionen entweder während verschiedener Jahre oder in verschiedenen Oertlichkeiten in einem hinreichend bedeutenden Grade zu schwanken, um zu einer derartigen Wirksamkeit zu führen. Denn man muss beachten, dass irgend ein Vortheil, der während gewisser Jahre oder in gewissen Oertlichkeiten von denjenigen Männchen erlangt wurde, welche im Stande waren, andere Männchen zu besiegen, oder welche für die Weibchen die meiste Anziehungskraft besassen, wahrscheinlich auf deren
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/297&oldid=- (Version vom 31.7.2018)