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Gehirne (A) gesehen worden. Die unsymmetrische Anordnung der Windungen beider Hemisphären, auf welche sich frühere Beobachter in ihren Beschreibungen bezogen haben, wird gleichfalls durch diese Präparate gut erläutert« (p. 8, 9).

Selbst wenn die Anwesenheit der Temporo-occipitalspalte, oder der äussern senkrechten Furche, ein Unterscheidungszeichen zwischen den höheren Affen und dem Menschen wäre, würde der Werth eines solchen distinctiven Merkmals durch den Bau des Gehirns bei den platyrhinen Affen sehr zweifelhaft werden. Während in der That der Temporo-occipitalsulcus eine der constantesten Furchen bei den catarhinen oder altweltlichen Affen ist, ist er bei den neuweltlichen Affen niemals stark entwickelt: er fehlt bei den kleineren Platyrhinen, ist rudimentär bei Pithecia,[1] und mehr oder weniger durch Uebergangswindungen obliterirt bei Ateles.

Ein innerhalb der Grenzen einer einzelnen Gruppe in dieser Art variabler Character kann keinen grossen systematischen Werth haben.

Es ist ferner ermittelt worden, dass der Grad der Asymmetrie der Windungen auf den beiden Seiten des menschlichen Gehirns grosser individueller Variation unterliegt, und dass bei den Individuen der Buschmannrasse, welche bis jetzt untersucht worden sind, die Windungen und Furchen der beiden Hemisphären beträchtlich weniger complicirt und symmetrischer sind, als im Europäergehirn, während bei manchen Individuen des Schimpanse ihre Complexität und Asymmetrie auffallend wird. Dies ist besonders bei dem von Mr. Broca abgebildeten Gehirn eines jungen männlichen Schimpanse der Fall (L'ordre des Primates, p. 165, Fig. 11).

Was ferner die Frage der absoluten Grösse betrifft, so ist ermittelt worden, dass die Verschiedenheit zwischen dem grössten und kleinsten gesunden menschlichen Gehirn beträchtlicher ist als der Unterschied zwischen dem kleinsten gesunden menschlichen Gehirn und dem grössten Schimpansen- oder Orang-Gehirn.

Uebrigens besteht noch ein Umstand, in welchem die Gehirne des Orang und Schimpanse dem Gehirn des Menschen ähnlich sind, in dem sie aber von den niederen Affen abweichen: das ist das Vorhandensein zweier Corpora candicantia, die Cynomorpha haben nur eines.

Angesichts dieser Thatsachen stehe ich nicht an, in diesem Jahre 1874 den Satz zu wiederholen und zu betonen, den ich im Jahre 1873 ausgesprochen habe:[2]

»Was also den Bau des Gehirns anlangt, so ist klar, dass der Mensch weniger vom Schimpanse und Orang verschieden ist, als diese selbst von den Affen, und dass der Unterschied zwischen den Gehirnen des Schimpanse und des Menschen fast bedeutungslos ist, wenn man ihn mit dem zwischen dem Gehirn des Schimpanse und eines Lemurs vergleicht«.

In dem schon angezogenen Aufsatz leugnet Professor Bischoff nicht den zweiten Theil dieser Angabe; aber zunächst macht er die irrelevante Bemerkung, dass es nicht weiter wunderbar sei, wenn die Gehirne eines Orang und eines Lemur sehr verschieden sind; dann fährt er fort und behauptet: »Wenn man das Gehirn eines Menschen mit dem eines Orang,


  1. Flower, on the Anatomy of Pithecia Monachus, in: Proceed. Zoolog. Soc. 1862.
  2. Stellung des Menschen in der Natur. (Uebers.) S. 115.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/277&oldid=- (Version vom 31.7.2018)