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Analogie von unsern domesticirten Thieren urtheilen dürfen, so fallen viele Modificationen der Structur beim Menschen unter dieses Princip der correlativen Entwickelung.

Wir haben nun gesehen, dass die äusseren characteristischen Verschiedenheiten zwischen den Rassen des Menschen in einer zufriedenstellenden Weise weder durch die directe Wirkung der Lebensbedingungen noch durch die Wirkungen des fortgesetzten Gebrauchs von Theilen, noch durch das Princip der Correlation erklärt werden können. Wir werden daher zu untersuchen veranlasst, ob unbedeutende individuelle Verschiedenheiten, denen der Mensch im äussersten Maasse ausgesetzt ist, nicht im Verlaufe einer langen Reihe von Generationen durch natürliche Zuchtwahl erhalten und gehäuft worden sein dürften. Hier begegnet uns aber sofort der Einwurf, dass nur wohlthätige Abänderungen auf diese Weise erhalten werden können; und soweit wir im Stande sind hierüber zu urtheilen (doch sind wir über diesen Punkt beständig der Gefahr eines Irrthums ausgesetzt), ist nicht eine einzige der Verschiedenheiten zwischen den Menschenrassen von irgendwelchem directen oder speciellen Nutzen für dieselben. Bei dieser Bemerkung müssen natürlich die intellectuellen und moralischen oder socialen Eigenschaften ausgenommen werden. Die grosse Variabilität der sämmtlichen äusseren Verschiedenheiten zwischen den Rassen der Menschen weist gleichfalls darauf hin, dass diese Verschiedenheiten von keiner grossen Bedeutung sein können; denn wären sie von Bedeutung gewesen, so würden sie schon lange entweder fixirt und erhalten oder eliminirt worden sein. In dieser Beziehung ist der Mensch jenen von den Naturforschern proteisch oder polymorph genannten Formen ähnlich, welche äusserst variabel geblieben sind, und zwar wie es scheint in Folge des Umstandes, dass ihre Abänderungen von einer indifferenten Beschaffenheit und in Folge hiervon der Entwickelung der natürlichen Zuchtwahl entgangen sind.

So weit sind denn also alle unsere Versuche, die Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Rassen des Menschen zu erklären, vereitelt worden; noch bleibt aber eine bedeutungsvolle Kraft übrig, nämlich Geschlechtliche Zuchtwahl, welche mit der gleichen Energie auf den Menschen wie auf viele andere Thiere gewirkt zu haben scheint. Ich will nicht behaupten, dass geschlechtliche Zuchtwahl sämmtliche Verschiedenheiten zwischen den Rassen erklären wird. Ein unerklärter


Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/273&oldid=- (Version vom 31.7.2018)