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dass, wenn irgend ein neues Hinderniss, wenn auch noch so unbedeutend, hinzutritt, die Rasse sicherlich an Zahl abnehmen wird. Eine Abnahme der Zahl wird früher oder später zum Aussterben führen. Das Ende wird dann in den meisten Fällen durch das Eindringen erobernder Stämme mit Sicherheit herbeigeführt.

Ueber die Bildung der Menschenrassen. – In einigen Fällen hat die Kreuzung von bereits verschiedenen Rassen zur Bildung einer neuen Rasse geführt. Die eigentümliche Thatsache, dass Europäer und Hindus, welche zu demselben arischen Stamme gehören und eine fundamental gleiche Sprache sprechen, in der äusseren Erscheinung weit von einander verschieden sind, während die Europäer nur wenig von den Juden abweichen, welche zum semitischen Stamm gehören und eine völlig andere Sprache sprechen, hat Broca[1] dadurch zu erklären gesucht, dass er meint, gewisse arische Zweige hätten sich während ihrer weiten Verbreitung mit verschiedenen eingeborenen Stämmen in reichlichem Maasse gekreuzt. Wenn zwei in dichter Berührung lebende Rassen sich kreuzen, so ist das erste Resultat eine heterogene Mischung. So sagt Mr. Hunter bei Beschreibung der Santali oder Bergstämme von Indien, dass sich Hunderte von unmerkbaren Abstufungen verfolgen lassen „von den schwarzen untersetzten Stämmen der Bergländer bis zu den schlanken olivenfarbigen Brahmanen mit ihren intelligenten Augenbrauen, ruhigen Augen und hohen aber schmalen Köpfen“; so dass es bei Gerichtshöfen nothwendig ist, die Zeugen zu fragen, ob sie Santalis oder Hindus sind.[2] Ob ein heterogenes Volk wie die Eingeborenen einiger der polynesischen Inseln, die sich durch die Kreuzung zweier distincter Rassen gebildet haben, wobei nur wenig oder gar keine rassenreine Individuen erhalten sind, jemals homogen werden könne, ist durch directe Belege nicht ermittelt. Da aber bei unsern domesticirten Thieren eine gekreuzte Zucht im Laufe weniger Generationen mit Gewissheit fixirt und durch sorgfältige Zuchtwahl gleichförmig gemacht werden kann,[3] so dürfen wir schliessen, dass das reichliche Kreuzen einer heterogenen Mischlingsbevölkerung während vieler Generationen die Stelle der Zuchtwahl ersetzen und jede Neigung


  1. On Anthropology, in: Anthropolog. Review. Jan. 1868, p. 38.
  2. The Annals of Rural Bengal. 1868, p. 134.
  3. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 2, S. 109.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/265&oldid=- (Version vom 31.7.2018)