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Frauen zugeschrieben worden, ist aber wahrscheinlich zum grossen Theile Folge der angebornen Schwäche der Constitution bei den Kindern, die mit der verringerten Fruchtbarkeit der Eltern in Beziehung steht. Es besteht überdies noch eine weitere Aehnlichkeit mit dem Fall von Neu-Seeland, in der Thatsache nämlich, dass ein Ueberschuss von männlichen über weibliche Geburten statthat. Die Volkszählung von 1872 ergibt 31650 männliche auf 25247 weibliche Individuen jeden Alters, das sind 125,36 männliche auf je 100 weibliche, während in allen civilisirten Ländern die weiblichen Individuen die männlichen überwiegen. Ohne Zweifel mag die Lüderlichkeit der Frauen zum Theil ihre geringe Fruchtbarkeit erklären; aber die Aenderung ihrer Lebensgewohnheiten ist eine viel wahrscheinlichere Ursache, welche auch gleichzeitig die vermehrte Sterblichkeit, besonders der Kinder, erklären dürfte. Die Inseln wurden von Cook im Jahre 1779, von Vancouver 1794 und später häufig von Walfischjägern besucht. Im Jahre 1819 kamen Missionäre an und fanden, dass der König den Götzendienst bereits beseitigt und andere Veränderungen bewirkt hatte. Nach dieser Zeit fand eine rapide Veränderung in fast allen Lebensgewohnheiten der Eingebornen statt und sie wurden bald „die civilisirtesten der Inselbewohner des Stillen Oceans“. Einer meiner Gewährsmänner, Mr. Coan, welcher auf den Inseln geboren ist, bemerkt, dass die Eingebornen im Verlaufe von fünfzig Jahren eine grössere Veränderung in ihren Lebensgewohnheiten durchgemacht haben, als die Engländer während eines Tausend von Jahren. Aus Mittheilungen, die ich von Bischof Staley erhielt, geht nicht hervor, dass die ärmeren Classen jemals ihre Nahrungsart sehr verändert haben, obschon viele neue Früchte eingeführt worden sind und das Zuckerrohr in ganz allgemeinem Gebrauche ist. In Folge ihrer Leidenschaft, den Europäern nachzuahmen, haben sie indessen schon zu einer frühen Zeit ihre Art sich zu kleiden geändert; auch ist der Gebrauch spirituöser Getränke sehr allgemein geworden. Obgleich diese Veränderungen unbeträchtlich erscheinen, kann ich nach dem, was in Bezug auf Thiere bekannt ist, wohl glauben, dass sie hinreichen dürften, die Fruchtbarkeit der Eingebornen zu verringern.[1]


  1. Die vorstehenden Angaben sind hauptsächlich den folgenden Werken entnommen: Jarves. History of the Hawaiian Islands, 1843, p. 400—407; Cheever, Life in the Sandwich Islands, 1851, p. 277; Ruschenberger wird von Bonwick citirt, The Last of the Tasmanians, 1870, p. 378; Bishop wird angeführt von
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/259&oldid=- (Version vom 31.7.2018)