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Unser Naturforscher würde gleichfalls sehr beunruhigt werden, sobald er bemerkte, dass die Unterscheidungsmerkmale aller Rassen des Menschen in hohem Grade variabel sind. Diese Thatsache fällt sofort Jedem auf, wenn er zuerst die Negersclaven in Brasilien sieht, welche aus allen Theilen von Africa eingeführt worden sind. Dieselbe Bemerkung gilt auch für die Polynesier und für viele andere Rassen. Es kann bezweifelt werden, ob irgend ein Character angeführt werden kann, welcher für eine Rasse distinctiv und constant ist. Wilde sind selbst innerhalb der Grenzen eines und desselben Stammes auch nicht entfernt so gleichförmig im Character, wie oft behauptet worden ist. Die Hottentottenfrauen bieten gewisse Eigentümlichkeiten dar, welche schärfer markirt sind als diejenigen, welche bei irgend einer andern Rasse auftreten; aber man weiss, dass sie nicht von constantem Vorkommen sind. Bei den verschiedenen americanischen Stämmen weichen die Farbe und das Behaartsein beträchtlich ab; dasselbe gilt bis zu einem gewissen, und in Bezug auf die Form der Gesichtszüge bis zu einem bedeutenden Grade für die Neger in Africa. Die Form des Schädels variirt in manchen Rassen bedeutend;[1] und so ist es mit jedem anderen Character. Nun haben alle Naturforscher durch theuer erkaufte Erfahrungen gelernt, wie vorschnell der Versuch ist, Species mit Hülfe inconstanter Charactere zu definiren.

Aber das gewichtigste aller Argumente gegen die Betrachtung der Rassen des Menschen als distincter Species ist, dass sie gradweise in einander übergehen und zwar, so weit wir es beurtheilen können, in vielen Fällen ganz unabhängig davon, ob sie sich mit einander gekreuzt haben oder nicht. Der Mensch ist sorgfältiger als irgend ein anderes Wesen studirt worden und doch besteht die grösstmögliche Verschiedenheit des Urtheils zwischen fähigen Richtern darüber, ob er als eine einzige Species oder Rasse classificirt werden solle oder als zwei (Virey), als drei (Jacquinot), als vier (Kant), fünf (Blumenbach), sechs (Buffon), sieben (Hunter), acht (Agassiz), elf (Pickering), fünfzehn (Bory St. Vincent), sechszehn (Desmoulins), zweiundzwanzig (Morton), sechszig (Crawford) oder als dreiundsechszig nach Burke.[2] Diese Verschiedenartigkeit


  1. z. B. bei den Eingeborenen von America und Australien. Prof. Huxley sagt (Transact. Internation. Congress of Prehistor. Archaeol. 1868, p. 105), dass „die Schädel vieler Süddeutscher und Schweizer so kurz und breit sind, wie die der Tartaren“ u. s. w.
  2. s. eine gute Erörterung dieses Gegenstandes bei Waitz, Introduct. to Anthropology. Engl. transl. 1863. p. 198–208. 227. Mehrere der obigen Angaben habe ich aus H. Tuttle's Origin and Antiquity of Physical Man, Boston, 1866, p. 35 entnommen.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/242&oldid=- (Version vom 31.7.2018)