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Wir wollen zuerst die Gründe betrachten, die man zu Gunsten einer Classification der Menschenrassen als besonderer Arten vorbringen kann, und dann die, welche für die gegentheilige Ansicht sprechen. Wenn ein Naturforscher, welcher noch niemals zuvor einen Neger, Hottentotten, Australier oder Mongolen gesehen hätte, diese mit einander zu vergleichen hätte, so würde er sofort bemerken, dass sie in einer Menge von Characteren von einander abweichen, von denen einige unbedeutend, einige aber von ziemlicher Bedeutung sind. Bei näherer Erörterung würde er finden, dass diese Formen einem Leben unter sehr verschiedenen Climaten angepasst sind und dass sie auch in ihrer körperlichen Constitution und ihren geistigen Anlagen etwas von einander verschieden sind. Wenn man ihm dann sagte, dass Hunderte ganz ähnlicher Exemplare aus denselben Ländern herbeigebracht werden könnten, so würde er zuversichtlich erklären, dass sie so gute Species seien wie viele andere, welche er mit specifischen Namen zu versehen gewohnt wäre. Diese Folgerung würde noch bedeutend an Stärke gewinnen, sobald er sich vergewissert hätte, dass diese Formen dieselben Merkmale schon für viele Jahrhunderte beibehalten haben, und dass Neger, die allem Anscheine nach mit den jetzt lebenden identisch waren, mindestens schon vor viertausend Jahren gelebt haben.[1] Er würde ferner von einem ausgezeichneten Beobachter, Dr. Lund,[2] hören, dass


  1. In Bezug auf die Abbildungen in den berühmten Aegyptischen Höhlen von Abu-Simbel bemerkt Pouchet (The Plurality of the Human Races. Transl. 1864. p. 50), dass er die Repräsentanten der zwölf oder noch mehr Nationen, welche einige Autoren darin wiedererkennen zu können meinen, auch nicht entfernt wiedererkennbar finden könne. Selbst einige der am schärfsten markirten Rassen können nicht mit jenem Grade der Einstimmigkeit identificirt werden, welcher nach dem, was über diesen Gegenstand geschrieben worden ist, zu erwarten gewesen wäre. So führen Msrs. Nott and Gliddon (Types of Mankind, p. 148) an, dass Rameses II. oder der Grosse stolze europäische Gesichtszüge habe, während Knox, ein anderer überzeugter Anhänger der Meinung von der specifischen Verschiedenheit der Menschenrassen (Races of Man, 1850, p. 201) bei der Schilderung des jungen Memnon (wie mir Mr. Birch sagt, ein und dieselbe Person mit Rameses II.) in der entschiedensten Weise behauptet, dass er in seinen Characteren mit den Juden in Antwerpen identisch sei. Als ich ferner im British Museum mit zwei competenten Richtern, Beamten der Anstalt, die Statue des Amunoph III. betrachtete, stimmten wir darin überein, dass seine Gesichtszüge eine stark ausgesprochene Negerform haben. Die Herren Nott und Gliddon dagegen (a. a. O. p. 416, Fig. 53) beschreiben ihn als „einen Mischling, aber ohne Beimischung von Negerblut“.
  2. Citirt von Nott und Gliddon, Types of Mankind. 1854, p. 439. Sie führen auch noch weitere bestätigende Belege an; doch meint C. Vogt, dass der Gegenstand noch weiterer Untersuchung bedürfe.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/232&oldid=- (Version vom 31.7.2018)