Character des Volks die Resultate natürlicher Zuchtwahl sind. Die energischeren, rastloseren und muthigeren Menschen aus allen Theilen Europa’s sind während der letzten zehn oder zwölf Generationen in jenes grosse Land eingewandert und haben dort den grössten Erfolg gehabt.[1] Blicken wir auf die weiteste Zukunft, so glaube ich nicht, dass die Ansicht des Mr. Zincke übertrieben ist, wenn er sagt:[2] „alle übrigen Reihen von Begebenheiten, – z. B. die, welche als Resultat die geistige Cultur in Griechenland, und die, welche die römische Kaiserzeit hervorgehen liessen – scheinen nur Zweck und Bedeutung zu erhalten, wenn sie im Zusammenhange mit, oder noch eher als Unterstützung für .... den grossen Strom anglosächsischer Auswanderung nach dem Westen hin betrachtet werden“. So dunkel das Problem des Fortschritts der Civilisation ist, so können wir wenigstens sehen, dass eine Nation, welche eine lange Zeit hindurch die grösste Zahl hoch intellectueller, energischer, tapferer, patriotischer und wohlwollender Männer erzeugte, im Allgemeinen über weniger begünstigte Nationen das Uebergewicht erlangen wird.
Natürliche Zuchtwahl ist die Folge des Kampfes um’s Dasein, und dieser ist die Folge eines rapiden Verhältnisses der Vermehrung. Es ist unmöglich, das Verhältniss, in welchem der Mensch an Zahl zuzunehmen strebt, nicht tief zu bedauern, – ob dies freilich weise ist, ist eine andere Frage; – denn es führt dasselbe bei barbarischen Stämmen zum Kindesmord und vielen anderen Uebeln, und bei civilisirten Nationen zu der grässlichsten Verarmung, zum Cölibat und zu den späten Heirathen der Klügeren. Da aber der Mensch an denselben physischen Uebeln zu leiden hat, wie die niederen Thiere, so hat er kein Recht, eine Immunität diesen Uebeln gegenüber, die eine Folge des Kampfes um’s Dasein sind, zu erwarten. Wäre er nicht während der Urzeiten der natürlichen Zuchtwahl ausgesetzt gewesen, so würde er zuversichtlich niemals die jetzige hohe Stufe der Menschlichkeit erreicht haben. Wenn wir in vielen Theilen der Erde enorme Strecken des fruchtbarsten Landes, Strecken, welche im Stande sind, zahlreiche glückliche Heimstätten zu tragen, nur von einigen wenigen herumwandernden Wilden bewohnt sehen, so möchte man wohl zu der Folgerung veranlasst werden, dass der Kampf um’s Dasein nicht hinreichend heftig
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/199&oldid=- (Version vom 31.7.2018)