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in’s innerste Mark verderbt waren“.[1] Die westlichen Nationen Europa’s, welche jetzt so unmessbar ihre früheren wilden Urerzeuger überflügelt haben und auf dem Gipfel der Civilisation stehen, verdanken wenig oder gar nichts von ihrer Superiorität der directen Vererbung von den alten Griechen, obwohl sie den schriftlich hinterlassenen Werken dieses wunderbaren Volks viel verdanken.

Wer kann positiv angeben, warum die spanische Nation, die zu einer Zeit so dominirend war, in dem Wettlaufe der Völker überflügelt worden ist? Das Erwachen der Nationen Europa’s aus den Jahrhunderten der Dunkelheit ist ein noch verwirrenderes Problem. In dieser frühen Zeit hatten, wie Mr. Galton bemerkt hat, fast alle Männer einer weicheren Natur, die, welche sich einer beschaulichen Betrachtung oder der Cultur des Geistes ergaben, keinen anderen Zufluchtsort als den Busen der Kirche, und diese forderte das Cölibat;[2] und dieses wieder musste fast sicher einen verschlechternden Einfluss auf jede der folgenden Generationen ausüben. Während dieser selben Periode wählte die heilige Inquisition mit der äussersten Sorgfalt die freisinnigsten und kühnsten Männer aus, um sie zu verbrennen oder gefangen zu setzen. Allein in Spanien wurden von den besten Leuten – d. h. von denen welche zweifelten und Fragen aufwarfen, und ohne Zweifeln ist ja kein Fortschritt möglich – während dreier Jahrhunderte jährlich eintausend eliminirt. Das Uebel, welches die katholische Kirche hierdurch bewirkt hat, ist unberechenbar, wenn es auch in gewisser, vielleicht grosser Ausdehnung auf andere Weise ausgeglichen wurde. Nichtsdestoweniger ist Europa in einem Verhältniss ohne Gleichen fortgeschritten.

Der merkwürdige Erfolg der Engländer als Colonisten, gegenüber anderen europäischen Nationen, welcher durch einen Vergleich der Fortschritte der Canadier englischen und französischen Ursprungs erläutert wird, ist deren „unerschrockener und ausdauernder Energie“ zugeschrieben worden; wer kann aber sagen, wie die Engländer ihre Energie erlangten? Wie es scheint, liegt in der Annahme sehr viel Wahres, dass der wunderbare Fortschritt der Vereinigten Staaten ebenso wie der


  1. Greg in Fraser’s Magazine. Sept. 1868, p. 357.
  2. Hereditary Genius. 1870, p. 357-359. F. H. Farrar bringt Gründe für die gegentheilige Ansicht bei (Fraser’s Magazine, August 1870, p. 257). Sir Ch. Lyell hat bereits in einer merkwürdigen Stelle (Principles of Geology. Vol. II. 1868, p. 489) die Aufmerksamkeit auf den üblen Einfluss der Inquisition gelenkt, indem sie nämlich durch Zuchtwahl den allgemeinen Stand der Intelligenz in Europa herabgedrückt habe.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/198&oldid=- (Version vom 31.7.2018)