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zeigen, welche sie auf ihre persönliche Erscheinung und Decoration verwenden. Denn wenn sie die Meinung ihrer Kameraden gar nicht beachteten, so würden derartige Gewohnheiten sinnlos sein.

Gewiss empfinden sie Scham bei dem Verletzen einiger ihrer einfacheren Gesetze, und allem Anscheine nach auch Gewissensbisse, wie durch den Fall des Australiers bewiesen wird, welcher abmagerte und nicht ruhen konnte, weil er versäumt hatte, zur Besänftigung des Geistes seiner verstorbnen Frau ein andres Weib zu ermorden. Wenn mir auch kein Bericht irgend eines andern Falles vorgekommen ist, so ist es doch kaum glaublich, dass ein Wilder, welcher sein Leben eher opfert, als dass er seinen Stamm verräth, oder dass Einer, der sich selbst eher als Gefangener überliefert, als dass er sein Wort bricht,[1] nicht in seiner innersten Seele Gewissensbisse fühlen sollte, sobald er eine Pflicht versäumt hat, welche er für heilig hält.

Wir können daher schliessen, dass der Urmensch in einer äusserst weit zurückliegenden Zeit durch das Lob und den Tadel seiner Genossen beeinflusst worden sein wird. Offenbar werden die Mitglieder eines und desselben Stammes ein Benehmen, welches ihnen als ein das allgemeine Beste förderndes erschien, lobend anerkennen und ein solches verwerfen, welches ihnen übelbringend erschien. Andern Gutes zu thun, – Andern zu thun als Ihr wollt, dass man Euch thue – ist der Grundstein der Moralität. Es ist daher kaum möglich, die Bedeutung der Sucht nach Lob und der Furcht vor Tadel während der Zeiten der Rohheit zu überschätzen. Ein Mensch, welcher durch kein tiefes instinctives Gefühl dazu getrieben wurde, sein Leben für das Beste Anderer zu opfern, dagegen zu solchen Handlungen durch ein Gefühl des Ruhms veranlasst wurde, würde durch sein Beispiel denselben Wunsch nach Ruhm bei andern Menschen erregen und würde durch Uebung das edle Gefühl der Bewunderung kräftigen. Er kann auf diese Weise seinem Stamme viel mehr Gutes thun, als durch Erzeugung einer Nachkommenschaft, welcher die Tendenz innewohnt, seinen eigenen edeln Character zu erben.

Mit der Zunahme der Erfahrung und des Verstandes lernt der Mensch die entfernter liegenden Wirkungen seiner Handlungen erkennen und lernt auch die das Individuum betreffenden Tugenden, wie Mässigkeit, Keuschheit u. s. w., welche während sehr früher Zeiten, wie wir


  1. Mr. Wallace führt Fälle hiervon an in seinen Contributions to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 354.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/185&oldid=- (Version vom 31.7.2018)