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dass ihnen, obschon sie den andern Affen durch Ausrufe einige ihrer Wahrnehmungen und einfacheren Bedürfnisse verständlich machen könnten, doch die Idee, bestimmte Gedanken durch bestimmte Laute auszudrücken, niemals in den Sinn gekommen sei. Sie können behaupten, dass sie bereit wären, ihren Genossen in derselben Heerde auf viele Weisen zu helfen, ihr Leben für sie zu wagen und für ihre Waisen zu sorgen; sie würden aber genöthigt sein, anzuerkennen, dass eine interesselose Liebe für alle lebenden Geschöpfe, dieses edelste Attribut des Menschen, völlig über ihre Fassungskraft hinausgienge.

So gross nun auch nichtsdestoweniger die Verschiedenheit an Geist zwischen dem Menschen und den höheren Thieren sein mag, sie ist doch sicher nur eine Verschiedenheit des Grads und nicht der Art. Wir haben gesehen, dass die Empfindungen und Eindrücke, die verschiedenen Erregungen und Fähigkeiten, wie Liebe, Gedächtniss, Aufmerksamkeit, Neugierde, Nachahmung, Verstand u. s. w., deren sich der Mensch rühmt, in einem beginnenden oder zuweilen selbst in einem gut entwickelten Zustand bei den niederen Thieren gefunden werden. Sie sind auch in einem gewissen Grade der erblichen Veredelung fähig, wie wir an dem domesticirten Hund im Vergleich mit dem Wolf oder Schakal sehen. Wenn bewiesen werden könnte, dass gewisse höhere geistige Fähigkeiten, wie Bildung allgemeiner Begriffe, Selbstbewusstsein u. s. w. dem Menschen absolut eigenthümlich wären, was äusserst zweifelhaft zu sein scheint, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieselben die begleitenden Resultate anderer weit fortgeschrittener intellectueller Fähigkeiten sind; und diese wiederum sind hauptsächlich das Resultat des fortgesetzten Gebrauchs einer höchst entwickelten Sprache. In welchem Alter entwickelt sich bei dem neugeborenen Kinde das Vermögen der Abstraction, in welchem Alter wird das Kind selbstbewusst und reflectirt über seine eigene Existenz? Wir können hierauf nicht antworten; ebensowenig wie wir die gleiche Frage mit Bezug auf die aufsteigende Reihe organischer Wesen beantworten können. Das halb Künstliche und halb Instinctive der Sprache trägt noch immer den Stempel ihrer allmählichen Entwickelung an sich. Der veredelnde Glaube an Gott ist den Menschen nicht allgemein eigen und der Glaube an thätige spirituelle Kräfte folgt naturgemäss aus seinen andern geistigen Kräften. Das moralische Gefühl bietet vielleicht die beste und höchste Unterscheidung zwischen dem Menschen und den niederen Thieren dar; doch brauche ich kaum etwas hierüber zu sagen, da ich erst vor kurzem zu

Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/177&oldid=- (Version vom 31.7.2018)