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Menschen anderer Stämme ausgeübt werden, nicht als Verbrechen betrachtet. Kein Stamm würde zusammenhalten können, bei welchem Mord, Räuberei, Verrätherei u. s. w. gewöhnlich wären; in Folge dessen werden solche Verbrechen innerhalb der Grenzen eines und desselben Stammes „mit ewiger Schmach gebrandmarkt“,[1] erregen aber jenseits dieser Grenzen keine derartigen Empfindungen. Ein nordamericanischer Indianer ist mit sich selbst wohl zufrieden und wird von anderen geehrt, wenn er einen Menschen eines andern Stammes scalpirt, und ein Dyak schneidet einer ganz friedlichen Person den Kopf ab und trocknet ihn als Trophäe. Der Kindesmord hat im grössten Maassstab in der ganzen Welt geherrscht[2] und hat keinen Tadel gefunden; es ist im Gegentheil die Ermordung von Kindern, besonders von Mädchen, als etwas Gutes für den Stamm oder wenigstens nicht als schädlich für denselben angesehen worden. In früheren Zeiten wurde der Selbstmord nicht allgemein als Verbrechen betrachtet,[3] sondern wegen des dabei bewiesenen Muths eher als ehrenvolle Handlung; und er wird noch immer von einigen halbcivilisirten und wilden Nationen ausgeübt, ohne für tadelnswerth zu gelten, denn er berührt nicht augenscheinlich Andere desselben Stammes. Man hat berichtet, dass ein indischer Thug es in seinem Gewissen bedauerte, nicht ebensoviel Reisende strangulirt und beraubt zu haben, als sein Vater vor ihm gethan hatte. Auf einem niedrigen Zustand der Civilisation wird allerdings die Beraubung von Fremden meist für ehrenvoll gehalten.

Sclaverei ist, wenngleich sie in alten Zeiten in mancher Weise wohlthätig war, ein grosses Verbrechen;[4] doch wurde sie bis ganz


  1. s. einen guten Aufsatz in der „North British Review“, 1867, p. 395. vgl. auch W. Bagehot’s Abhandlungen über die Bedeutung des Gehorsams und des Zusammenhaltens für den Urmenschen in „The Fortnightly Review“ 1867, p. 529 und 1868, p. 457 u. s. w.
  2. Die ausführlichste Erörterung dieses Punktes, welche ich gefunden habe, findet sich bei Gerland, Ueber das Aussterben der Naturvölker. 1868. Ich werde aber auf den Kindesmord in einem späteren Capitel zurückzukommen haben.
  3. s. die sehr interessante Discussion über den Selbstmord in Lecky’s History of European Morals. Vol. I. 1869, p. 223. In Bezug auf Wilde theilt mir Mr. Winwood Reade mit, dass die Neger in Westafrica häufig Selbstmord begehen. Es ist bekannt, wie verbreitet er unter den unglücklichen Eingebornen von Südamerica nach der Spanischen Eroberung war. In Bezug auf Neu-Seeland s. die Reise der Novara, und in Bezug auf die Aleuten s. Müller, den Houzeau citirt, Facultés Mentales etc. Tom. II, p. 136.
  4. s. Bagehot, Physics and Politics, 1872, p. 72.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/165&oldid=- (Version vom 31.7.2018)