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ziehen.[1] Was erhabene Motive betrifft, so sind viele Beispiele von Barbaren mitgetheilt worden, welche jeden Gefühls eines allgemeinen Wohlwollens gegen die Menschheit bar und nicht durch irgendwelches religiöse Motiv geleitet mit völliger Ueberlegung in der Gefangenschaft eher ihr Leben opferten,[2] als ihre Kameraden verriethen; und sicherlich ist ihr Benehmen als ein moralisches zu betrachten. Was die Ueberlegung und den Sieg über entgegenstehende Motive betrifft, so lässt sich auch beobachten, dass Thiere in Bezug auf einander entgegenstehende Instincte zweifeln: so, wenn es sich darum handelt, ihren Nachkommen oder ihren Kameraden in Gefahr zu helfen; und doch werden ihre Handlungen, trotzdem sie zum Besten Anderer ausgeführt werden, nicht moralische genannt. Ueberdies wird eine von uns sehr oft ausgeführte Handlung zuletzt ohne Ueberlegung oder Zaudern verrichtet werden, und doch wird sicherlich Niemand behaupten, dass eine in dieser Weise verrichtete Handlung aufhört, moralisch zu sein; im Gegentheil fühlen wir alle, dass eine Handlung nicht als vollkommen oder als in der edelsten Weise ausgeführt angesehen werden kann, wenn sie nicht in Folge eines augenblicklichen Impulses ohne Ueberlegung oder Anstrengung und in derselben Weise ausgeführt wird, wie sie ein Mensch thun würde, bei dem die nöthigen Eigenschaften angeboren sind. Indessen verdient Derjenige, welcher erst seine Furcht oder seinen Mangel an Sympathie überwinden muss, ehe er zur Handlung schreitet, nach einer Seite hin noch mehr Anerkennung als Derjenige, dessen angeborene Disposition ihn zu einer guten Handlung ohne weitere Anstrengung führt. Da wir zwischen den Beweggründen nicht weiter unterscheiden können, so bezeichnen wir alle Handlungen einer gewissen Classe als moralisch, wenn sie von einem moralischen Wesen ausgeführt werden. Ein moralisches Wesen ist ein solches, welches im Stande ist, seine vergangenen und zukünftigen Handlungen oder Beweggründe mit einander zu vergleichen und sie zu billigen oder zu


  1. Ich beziehe mich hier auf den Unterschied zwischen dem, was man materielle, und dem, was man formelle Moralität genannt hat. Ich freue mich zu sehn, dass Prof. Huxley (Critiques and Address, 1873, p. 287) dieselbe Ansicht hat. Mr. Leslie Stephen bemerkt (Essays on Free thinking and Plain Speaking, 1873, p. 83): „der metaphysische Unterschied zwischen materieller und formeller Moralität ist so irrelevant wie andere derartige Unterschiede“.
  2. Ich habe einen solchen Fall, den von drei Patagonischen Indianern, von denen sich einer nach dem andern erschiessen liess statt die Pläne ihrer Kriegskameraden zu verrathen, erzählt in Journal of Researches. 1845, p. 103.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/157&oldid=- (Version vom 31.7.2018)