fast immer mit einander im Kriege sind, liegt kein Grund dagegen, dass der Mensch ein sociales Thier ist; denn sociale Instincte erstrecken sich niemals auf alle Individuen einer und derselben Art. Nach Analogie mit der grösseren Zahl der Quadrumanen zu schliessen, ist es wahrscheinlich, dass die frühen affenähnlichen Urerzeuger des Menschen gleichfalls social waren; dies ist aber für uns von keiner grossen Bedeutung. Obschon der Mensch, wie er jetzt existirt, wenig specielle Instincte hat und wohl alle, welche seine frühen Urerzeuger besessen haben mögen, verloren hat, so ist dies doch kein Grund, warum er nicht von einer äusserst entfernten Zeit her einen gewissen Grad instinctiver Liebe und Sympathie für seine Genossen behalten haben sollte. Wir sind uns in der That alle bewusst, dass wir derartige sympathische Gefühle besitzen;[1] unser Bewusstsein sagt uns aber nicht, ob dieselben instinctiv und vor langer Zeit in derselben Weise wie bei den niederen Thieren entstanden sind, oder ob sie von jedem Einzelnen von uns während unserer früheren Lebensjahre erlangt worden sind. Da der Mensch ein sociales Thier ist, so wird er auch wahrscheinlich eine Neigung, seinen Kameraden treu und dem Anführer seines Stammes gehorsam zu bleiben, vererben; denn diese Eigenschaft ist den meisten socialen Thieren gemein. Er wird folglich in gleicher Weise eine gewisse Fähigkeit der Selbstbeherrschung besitzen. Er wird auch in Folge einer angeerbten Neigung noch immer geneigt sein, gemeinsam mit Anderen seine Mitmenschen zu vertheidigen, und bereit, ihnen in allen Weisen zu helfen, welche nicht zu stark mit seiner eigenen Wohlfahrt oder seinen eigenen lebhaften Wünschen sich kreuzen.
Diejenigen socialen Thiere, welche am untern Ende der Stufenleiter stehen, werden fast ausschliesslich, und diejenigen, welche höher in der Reihenfolge stehen, in grossem Maasse bei der Hülfe, welche sie den Gliedern derselben Genossenschaft angedeihen lassen, durch specielle Instincte unterstützt. In gleicher Weise werden sie aber auch zum Theil durch gegenseitige Liebe und Sympathie dazu veranlasst werden, wobei sie, wie es wohl scheint, der Verstand in einem gewissen Grade unterstützt.
- ↑ Hume bemerkt (An Enquiry concerning The Principles of Moral; edit. 1751, p. 132): „es scheint das Bekenntniss nothwendig zu sein, dass das Glück und Unglück Anderer uns keine völlig indifferenten Schauspiele sind, dass im Gegentheil die Betrachtung des ersteren .... uns eine heimliche Freude bereitet, während das Auftreten des letzteren .... einen melancholischen Schatten über unsere Phantasie breitet“.
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/154&oldid=- (Version vom 31.7.2018)