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Ich glaube, es ist nun gezeigt worden, dass der Mensch und die höheren Thiere, besonders die Primaten, einige wenige Instincte gemeinsam haben. Alle haben dieselben Sinneseindrücke und Empfindungen, ähnliche Leidenschaften, Affecte und Erregungen, selbst die complexeren, wie Eifersucht, Verdacht, Ehrgeiz, Dankbarkeit und Grossherzigkeit; sie üben Betrug und rächen sich; sie sind empfindlich für das Lächerliche und haben selbst einen Sinn für Humor. Sie fühlen Verwunderung und Neugierde, sie besitzen dieselben Kräfte der Nachahmung, Aufmerksamkeit, Ueberlegung, Wahl, Gedächtniss, Einbildung, Ideenassociation, Verstand, wenn auch in sehr verschiedenen Graden. Die Individuen einer und derselben Species zeigen gradweise Verschiedenheit im Intellect von absoluter Schwachsinnigkeit bis zu grosser Trefflichkeit. Sie sind auch dem Wahnsinn ausgesetzt, wenn schon sie weit weniger oft daran leiden als der Mensch[1]. Nichtsdestoweniger haben viele Schriftsteller behauptet, dass der Mensch durch seine geistigen Fähigkeiten von allen niederen Thieren durch eine unüberschreitbare Schranke getrennt sei. Ich habe mir früher eine Sammlung von über zwanzig solcher Aphorismen gemacht; sie sind aber beinahe werthlos, da ihre grosse Zahl und Verschiedenheit die Schwierigkeit, wenn nicht die Unmöglichkeit des Versuches darlegen. Es ist behauptet worden, dass nur der Mensch einer allmählichen Vervollkommnung fähig sei, dass er allein Werkzeuge und Feuer gebrauche, andere Thiere sich angewöhne, Eigenthum besitze, dass kein anderes Thier das Vermögen der Abstraction habe oder allgemeine Ideen besitze, Selbstbewusstsein habe und sich selbst verstehe, dass kein Thier eine Sprache gebrauche, dass nur der Mensch ein Gefühl für Schönheit habe, Launen ausgesetzt sei, das Gefühl der Dankbarkeit, des Geheimnissvollen u. s. w. besitze, dass er an Gott glaube oder mit einem Gewissen ausgerüstet sei. Ich


  1. s. Madness in Animals, by Dr. W. Lauder Lindsay, in: Journal of Mental Science. July, 1871.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/116&oldid=- (Version vom 31.7.2018)