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der aufeinanderfolgenden Generationen dazu gekommen wäre. Ohne Zweifel ist viel von der Verstandesarbeit, die der Mensch ausführt, auf Nachahmung und nicht auf Ueberlegung zu schieben, wie Mr. Wallace bemerkt hat;[1] aber zwischen seinen Handlungen und vielen der von niederen Thieren ausgeführten besteht der grosse Unterschied, dass der Mensch beim ersten Versuche nicht im Stande ist z. B. ein steinernes Beil oder ein Boot durch seine Fähigkeit der Nachahmung zu fertigen. Er hat seine Arbeit durch Uebung zu erlernen. Ein Biber dagegen kann seinen Damm oder Canal, ein Vogel sein Nest genau so oder nahezu so gut, eine Spinne ihr wunderbares Gewebe vollständig so gut[2] das erste Mal, wo sie's versuchen, bauen, als wenn sie alt und erfahren sind.

Doch kehren wir zu unserem vorliegenden Gegenstande zurück. Die niederen Thiere empfinden offenbar wie der Mensch Freude und Schmerz, Glück und Unglück. Das Glück gibt sich nirgends besser zu erkennen als bei jungen Thieren, wie bei jungen Hunden, Katzen, Lämmern u. s. w., wenn sie zusammen spielen wie unsere eigenen Kinder. Selbst Insecten spielen zusammen, wie jener ausgezeichnete Beobachter P. Huber beschrieben hat,[3] welcher sah, wie Ameisen sich jagten und thaten, als wenn sie einander bissen, genau so, als wenn es junge Hunde gewesen wären.

Die Thatsache, dass die niederen Thiere durch dieselben Gemüthsbewegungen betroffen werden wie wir, ist so sicher festgestellt, dass es nicht nöthig ist, den Leser durch viele Einzelnheiten zu ermüden. Der Schreck wirkt auf sie in derselben Weise wie auf uns, er macht ihre Muskeln erzittern, ihr Herz schlagen, die Schliessmuskeln erschlaffen und das Haar sich aufrichten. Verdacht, das Kind der Gefahr, drückt sich äusserst characteristisch bei vielen wilden Thieren aus. Es ist, denke ich, unmöglich, die Beschreibung, welche Sir E. Tennent von dem Betragen der weiblichen, als Lockthiere dienenden Elefanten gibt, zu lesen, ohne zu der Ueberzeugung zu kommen, dass sie den Betrug bewussterweise und absichtlich ausführen und wohl wissen, um was es sich handelt. Muth und Furchtsamkeit sind bei Individuen einer und derselben Species äusserst veränderliche Eigenschaften, wie


  1. Contribution to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 212.
  2. Wegen der Belege hierzu s. das äusserst interessante Buch von J. Trahernk Moggridge, Harvesting Ants and Trap-door Spiders. 1873, p. 126, 128.
  3. Recherches sur les moeurs des Fourmis. 1810, p. 173.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/103&oldid=- (Version vom 31.7.2018)