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in dem gratia plena, einer Eigenschaft, die der Maria immer und überall treu bleibt, sie mag nun älter oder jünger, in Freud oder in Leid, auf dem Thron des Himmels oder im Stalle zu Bethlehem gemalt werden. In dieser Beziehung ist von vorzüglicher Wichtigkeit, dass sie als regina angelorum alle Lieblichkeit der Engelwelt in ihrer Weiblichkeit vereinigt.

Auf den ältesten Bildern der Katakomben, Mosaiken und Miniaturen erscheint Maria als Jungfrau ohne Kind, den Kopf verschleiert, beide Arme betend erhoben mit schönen und regelmässigen Gesichtszügen. d’ Agincourt sculpt. 12. Aringhi II. 209. 353. Bottari tav. 153. Waagen, Paris 197. Also wesentlich als Fürbitterin. Das bleibt auch fürderhin die wesentlichste Funktion der Gebenedeiten, Mutter der Gnaden und Fürbitterin für die sündigen Menschen zu seyn bei Gott, damit er Gnade für Recht ergehen lasse. Denn sie ist ganz Liebe im Gegensatz gegen die Gerechtigkeit, ganz die Milde des neuen Bundes im Gegensatz gegen die Härte des Gesetzes. Darum heisst sie mater gratiae, Rose ohne Dorn, Taube ohne Galle (überall in den alten Marienliedern). Insofern ist auch ihr Attribut der weite „Mantel der Liebe“, unter dem sie die reuigen Sünder schützt. Vgl. den Artikel Mantel. Der Grundtext aller Marienbilder ist ora pro nobis. Als die Allerbarmerin ist sie auf vielen Bildern dargestellt. Fra Bartholomeo malte sie mitten unter Pestkranken, die zu ihr beten und denen sie Heilung spendet (in der Leuchtenbergischen Gallerie). Van Dyk malte sie, ihre Huld der vor ihr knienden Sünderin Magdalena, dem verlornen Sohne und dem reuigen David zuwendend (im Berliner Museum). Salvator Rosa in einem grossen Bilde zu Mailand, wie sie die Seelen aus dem Fegfeuer erlöst.

Wenn die fromme Einfalt des Mittelalters ihr inniges Vertrauen zur heiligen Jungfrau zuweilen auch in naiver Weise ausdrückt, gibt das dem Unglauben der Neuzeit noch kein Recht zu dem Spott, den sie so gerne darüber ergiesst. Eine so unschuldige Naivetät drückt das berühmte Bild des Martin Schön in Colmar aus, auf dem Maria eine Anzahl

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Zweiter Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_II_089.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2022)