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Ephydatia jetzt, den sich Nahenden eben gewahrend,
Wie er in Schönheit erblüht’ und in lieblichen Reizen der Anmuth.
Denn ihm strahlte vom Aether der glänzende Schimmer des Vollmonds
Grad’ ins Gesicht, und ihr traf mit erschütterndem Staunen die Seele
Kypria, dass sie den Geist kaum sammelte aus der Verwirrung.
Aber sobald drauf Hylas den Krug in die Quelle gesenket,
Uebergebeugt seitwärts, und in reichlicher Fülle das Wasser
Rauschend ins tönende Erz einsprudelte, plötzlich umschlang sie
Diesem von obenherab mit dem anderen Arme den Nacken,
Dass sie den blühenden Mund ihm küssete; doch mit der Rechten
Zog sie am Arm ihn und stürzt’ ihn hinab in die Mitte des Strudels.“

Das Geschrei des Unglücklichen hatte Polyphemos gehört, der dem Herakles nun die Botschaft brachte, dass Hylas von Räubern entführt oder von Raubwild gefressen worden sei. Diese Beiden blieben darauf, um die Spur des Verschwundenen zu suchen, in Mysien zurück, indessen die übrigen Helden die Reise weiter vollführten.





Tafel 12. Faustkampf des Polydeukes und Amykos.

Die Argo legte nun an der bithynischen Küste im Lande der Bebryker – man meint, etwa in der Nähe von Chalkedon – an, deren König Amykos die Helden mit der Erklärung begrüsste, dass einer von ihnen, nach dem bei ihm bestehenden Gesetz und Brauch, sich mit ihm im Faustkampfe messen müsse. Polydeukes nahm die Ausforderung an und die beiden Gegner schritten sogleich zum Kampfe. Ein geeigneter Platz wurde gewählt, die Schlagriemen wurden um die Hände geschlungen, der Angriff begann. Amykos drängte mit seiner überlegenen Körperstärke gewaltig auf den Polydeukes ein, diesem standen Klugheit und Gewandtheit zur Seite. Die Wangen und Kinnbacken wurden schwer getroffen.

 „Es ward auch das Krachen der Zähne
Häufig gehört; nicht liessen sie nach sich beständig zu treffen,
Bis das ermüdende Keuchen gebändiget beiden die Kräfte;
Doch sie entfernten ein wenig sich jetzt, um zu trocknen der Stirne
Rinnenden Schweiss, aus der Brust mühseligen Athem verhauchend.
Jetzo rannen sie wieder entgegen sich, Stieren vergleichbar,
Die sich in brünstiger Wuth um die weidende Färse bekämpfen.
Aber nunmehr hob Amykos sich auf die Spitzen der Zehen,
So wie der Schlächter des Stiers; es stand Polydeukes dem Feinde,
Neigte das Haupt seitwärts, und empfing auf der Schulter vom Schlage
Wenig, doch nahe heran mit wechselndem Knie gewandelt,
Schlug er ihn über dem Ohr mit Heftigkeit; Knochen zerbrachen,
Dass er im Schmerz auf das Knie hinstürzte; jubelnden Zuruf
Huben die Helden jetzt an, doch jener verhauchte die Seele.“

So schildert Apollonios (II. v. 83–97) den Hergang. Die Bebryker suchten nun den Tod ihres Königs zu rächen, indem sie auf Polydeukes eindrangen, doch wurden sie von den Helden bald in die Flucht geschlagen.

Carstens hat den Schauplatz in die Lichtung eines schönen hochstämmigen Laubwaldes gelegt. Die Argonauten stehen und liegen hinter dem Polydeukes. Die Bebryker befinden sich auf der andern Seite hinter ihrem Könige; dieser selbst ist in grösserer Gestalt als die übrigen dargestellt.




Empfohlene Zitierweise:
Herman Riegel (Hrsg.): Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug. Alphons Dürr, Leipzig 1884, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Carstens_Werke_3._Band_Argonautenzug.pdf/22&oldid=- (Version vom 14.2.2021)