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Deinen Blicken, Fingerzeigen
Folget deine Dienrin schon,

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Darf ich deinen Bart dir streichen,

Ist es mir ein süßer Lohn.

Vor der Welt nach alter Weise
Nenne mich Biondette noch;
Älia Lälia Crispis heiße[1]

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Mich in Traulichkeiten doch.


Denn in mir von diesen Dreien
Brennet der gedrillte Docht,
Um die einst in Buhlereien
Mancher römsche Bürger focht.

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Ja, ich bin von diesen Dreien

Das gezwirnte Kunstphantom,
Und wie sie will ich nicht schreien,
Küssest du gleich wie ganz Rom.

Will dir mein Besitz verleiden,

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Werd ich zu der Lust zu stolz,

Kann dich wieder von mir scheiden
Klein ein Splitter Kreuzesholz.

Aber an dem Jungfernleibe,
Den ich dir zur Lust bewohn,

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Daß er unverdorben bleibe,

Zeig jetzt deine Kunst, Patron!“

Und mit Blut zwei Sprüche schreibet
Apo ihr nun hinters Ohr,
Unter ihre Achseln reibet

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Salbe er, die er beschwor.


Lüstern die besessne Leiche
Küsset nun der alte Tor,

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [404] In Bologna befand sich – nach Malvasia Marmora Felsina, Bologna 1690 – am Hause des Senators Volta folgende Inschrift:

    Aelia Laelia Crispis
    Nec vir, nec mulier, nec androgyna
    Nec puella, nec juvenis, nec anus
    Nec casta, nec meretrix, nec pudica
    sed omnia
    Sublata
    Neque fame, neque ferro, neque veneno
    sed omnibus
    Nec coelo, nec aquis, nec terris
    sed ubique jacet
    Lucius Agatho Priscus
    Nec maritus, nec amator, nec necessarius
    Neque moerens, neque gaudens, neque flens
    Hanc
    Nec molem, nec pyramidem, nec sepulcrum
    sed omnia
    Scit et nescit cui posuerit.

    Moles in der belebten Leiche Biondettens, die nur zu sein scheint, was sie nicht ist, will sich in trauten Stunden von Apo Aelia Laelia Crispis nennen lassen, wodurch [405] der höhnische Teufel ihm zu verstehen gibt, daß er mit einem Phantom gefoppt sei. In Bologna ging außerdem die Sage, ein Zauberer habe eine Zitherspielerin nach ihrem Tode künstlich belebt und auftreten lassen. Diesen Mißbrauch rät Moles Apo an, mit Biondettens Leiche zu treiben, wobei diese das Rätsel Aelia Laelia Crispis aufgeben sollte. Über dieses Rätsel enthält der Notizenfaszikel des Dichters in der Berliner Bibliothek ein gedrucktes Blatt, anscheinend aus einem Buche gerissen, aus dem 17. Jahrhundert stammend: „Von der geheimnisvollen Grabschrift Aelia Laelia Crispis“, das die Quelle Brentanos war. Der unbekannte Autor sagt unter wörtlicher Anführung der Inschrift, daß sich schon mancher den Kopf darüber zerbrochen habe und schließt: „In der That finde ich gar nicht schwer zu seyn, etwan dergleichen zu verfassen, dann weder der Verstand noch die gesunde Vernunft weder ein prächtiger Gedanken darinnen begriffen ist, deswegen kann man auch urtheilen, daß der Author dieser Grabschrift ein sonderlicher wie oder wann muß gewesen sein, indem er sich auch über das Zukünftige auf die Unkosten anderer Leute fröhlich gemacht.“ Diese Auffassung war offenbar auch die Brentanos, dem sie ganz in den Charakter seines Moles paßte, der Apo zwar zu viel Unheil verführte, ihn aber eigentlich zum Narren hielt.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_346.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)