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Den Geliebten Rosarosens
Will er mit dem Dolch durchstoßen!

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Mondhell fand er eine Stelle,

Und es rauschet Laub am Boden;
Mit gezücktem Dolch verstecket
Er sich im Gebüsch der Rosen.

Schon sieht er den Schatten schweben

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Des verhaßten Blondgelockten,

Und er hat in bösem Streben
Seinen Dolch schon hoch erhoben,

Als der Knabe vor ihm stehet
Und ihm ruhig sagt die Worte:

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„Jacopone, wiedersehen

Wirst du mich bei deinem Tode!“

Und er fühlte sich gefesselt
Und stieß nieder mit dem Dolche
In die kalte, harte Erde;

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Hat sich lange nicht erholet.


Als er wieder sich erhebet,
War sein Sinn ganz wild verworren,
Auch der Himmel war bedecket
Mit dem Mantel schwarzer Wolken.

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Und an Rosarosen denkt er:

War der Knabe nur ein Bote?
Sie muß selbst den Herrn mir nennen
Oder sterben von dem Dolche!

Und nun tappt er nach der Quelle

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Durch die dunkeln Laubenbogen,

Und er höret Rosarosen
Badend plätschern in dem Bronnen.

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_187.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)