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Aus dem dunklen Bücherkerker
In den Blumensaal der Sonne,

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Zu der heimlichen Kapelle,

In den selgen Klang der Orgel!

Sieh, es tanzet meine Seele
Auf dem frohen Strahl des Bronnens,
Und sie faltet ihre Hände,

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Dir ihr Herz in Liebe opfernd!“


Rosarosa ihm entgegnet:
„Freund, ich bin dir wohlgewogen,
Doch ich kenne keine Eltern;
Kannst du lieben eine solche?

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Mich gefunden und gefleget

Hat des Arztes Weib Dolores;
Sie erbaute die Kapelle,
Stiftete die kleine Orgel.

Dort fand sie des Grabes Stelle,

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Und ich lebe von vier Soldi,

Die sie täglich ausgesetzet,
Daß ich sing und spiel die Orgel.

Mir zum Vormund ist gesetzet
Fromm ein Priester, der Benone,

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Bis ich in den Ehstand gehe

Oder trete in ein Kloster.

Sonst kann ich auch schreiben, lesen,
Schnüre wirken und auch Borten,
Spinnen und Tapeten weben,

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Sticken Silbernes und Goldnes.


Und daß ich nicht müßig gehe,
Habe ich im Klosterhofe

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)