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Seinen Linnenvorhang achte

Höher ich, als sei er golden.

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Aber über deine Wangen

Seh ich sanfte Tränen rollen?“
„Kann ich,“ saget Rosablanke,
„Vor dem Bild nicht weinen wollen?

Denn ich seh auf seinen Wangen

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Blasser Lilien Kelch erschlossen,

Der von Tränen bittren Grames
Bis zum Tode überflossen.

Wer hat dir das Bild gemalet,
Wer hat dir das Tuch gesponnen,

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Daß sie lieb dir über alles

Und mir auch so lieb geworden?“ –

„Was ich weiß, sollst du erfahren,“
Spricht Biondetta, „doch zu sorgen
Bleibt mir vieles noch heut Abend;

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Ich muß meinen Putz noch ordnen;


Muß noch stimmen Leir und Harfe
Und die Lieder wiederholen,
Denn schon mahnet mich der Schatten
Meiner Uhr dort an der Sonne.“

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Schüchtern fraget Rosablanke:

„Hohe Gäste hat entboten
Wohl dein Vater für heut Abend,
Die so reichen Putz erfordern?“ –

„Alles das will ich dir sagen,“

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Spricht Biondetta, „doch nun folge

Mir zu meinem Kleiderschranke,
Hilf mir die Gewande ordnen.“

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_043.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)