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Ruht ein süßer, kleiner Knabe,

Schlummerglühnd in goldnen Locken.

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Jede Blüte hör ich fallen,

Hör des Knaben leisen Odem,
Und die reine Rosablanke
Tritt einher mit ihrem Korbe.

Auf den Stufen des Altares,

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Wo sie früh den Kranz geflochten,

Ladet sie zum armen Mahle
Kindlich ein die Mutter Gottes.

Eine goldne Honigwabe,
Auch ein Stückchen weißen Brotes

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Und die milchgefüllte Flasche

Nimmt sie aus dem weißen Korbe.

Da erwacht der blonde Knabe
Und steht harrend bei dem Bronnen,
Und es rief ihn Rosablanke:

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„Komm, ich geb dir Honigbrote!“


Und er nahet mit dem Lamme
Freundlich sich der Jungfrau Schoße,
Auch ein Vöglein kommt zu Gaste
Von der Linde abgeflogen.

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Liebreich lächelt Rosablanke,

Heißt sie allesamt willkommen,
Und es spricht der blonde Knabe:
„Du bist mild, o fromme Tochter!

Was du teilest mit den Armen,

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Das hast du dem Herrn geboten,

Der sich deiner wird erbarmen
In der Stunde deines Todes!“

Empfohlene Zitierweise:
Clemens Brentano: Romanzen vom Rosenkranz. Hrsg. von Alphons Maria von Steinle. Trier: Petrus-Verlag G.m.b.H., 1912, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brentano_Romanzen_vom_Rosenkranz_037.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)