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137-154. 214-227. 361-385), Drohreden gegen Babel (155-178. 228-246. 386-413), das neue Jerusalem und sein Messias (247-285. 414-433). — Das Zusammentreten dieser Themata ist bedeutsam. Es sind genau dieselben Stoffe, die unser Apok. in Kap. 17. 18. 21 behandelt. Mit großem Scharfsinn hat Geffcken die Zeit dieser Orakel bestimmt. Er setzt sie, da sie noch nichts von Trajans Erfolgen gegen die Parther wissen, an das Ende des ersten christlichen Jahrhunderts. Ihr Verfasser hat den Sturz des zweiten Tempels noch mit erlebt (V. 398), schreibt aber eine geraume Zeit nachher. Die in dieser Orakelsammlung sich findenden Nerostücke tragen nun etwa denselben Charakter, wie die in Buch IV. Auch hier ist Nero der noch lebende, zu den Parthern geflohene König 143ff., der von dort zurückkehren und die Erde mit Krieg und Blutvergießen erfüllen wird 361ff. Doch sind dem Bilde Pseudo-Neros bereits entschieden gespenstische Züge beigemischt. Nero ist 215ff. eine grauenhafte, dämonische Gestalt geworden, welche von den Parzen durch die Lüfte geführt wird. Auch spezifische der jüdischen Tradition angehörige Phantasien verbinden sich mit seiner Gestalt. Wie das kleine danielische Horn beseitigt Pseudo-Nero drei Häupter 222ff., ja es wird bereits erwartet, daß Pseudo-Nero sich von Westen her gegen Jerusalem wenden wird und von dort durch den von Gott gesandten König zurückgewiesen werden soll (100-110). So verschmilzt vor unsern Augen auch in der Sibyllendichtung die Gestalt Pseudo-Neros mit der des Antichrist.

Vollkommen ist dieser Verschmelzungsprozeß dann durchgeführt in dem (oben abgesetzten) ersten Stück der fünften Sibylle 1-51, die, wie es scheint, aus der Zeit Hadrians stammt[1]. Hier heißt es bereits

V. 33 ἀλλ’ ἔσται καὶ ἄϊστος ὀλοίιος· εἶτ’ ἀνακάμψει,
ἰσάζων θεῷ αὐτόν· ἐλέγξει δὲ οὔ μιν ἐόντα.

Deutlich zeigt sich uns hier eine zweifache (resp. dreifache) Stufe der Nerosage. Ursprünglich glaubte man einfach von Nero, daß er wiederkehren werde. Dann wird die Sage konkreter: er wird im Bunde mit den Parthern, zur Rache an Rom wiederkehren. Endlich wird Nero allmählich eine höllische gespenstische Gestalt, und sein Bild wird ins Übermenschliche gezeichnet. Er ist der Antichrist, der Drache, der Empörer gegen Gott, das Tier, das aus der Unterwelt wiederkehrt, das nur scheinbar getötete Haupt. Für diese letzte Phase der Entwickelung der Sage wird man keinen allzu frühen Zeitpunkt ansetzen dürfen. Die Wandlung konnte sich erst vollziehen, als nach dem Verschwinden Neros etwa ein Menschenalter verstrichen und die Erwartung, daß der lebende wiederkehren werde, unwahrscheinlich geworden war. Da erst hörte auch das Auftreten der falschen Nerone auf, da — also etwa im letzten Decennium des ersten Jahrhunderts — konnte sich die neue Gestalt der Sage entwickeln.


  1. An dem Datum möchte ich mit Zahn unter Absetzung von V. 51 festhalten, trotz des Widerspruchs von Geffcken, der mit Beibehaltung von V. 51 das Orakel in die Zeit des Mark Aurel versetzt. Die Weissagung Sib. VIII 151-159 setze ich aus diesem Zusammenhang ab, da Geffcken mich belehrt hat, daß hier ein heidnisches Orakel von dem lebenden Nero vorliege.
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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S413.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)