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welchem Verhältnis stehen die Zeugen zum Tiere? Weshalb tötet das Tier die Zeugen? Das sind alles Fragen, auf die der Apok. keine Antwort gibt.

Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir die Beziehung des Stückes zu seiner Umgebung untersuchen. Wir stellen die Frage, in welchem Verhältnis 11,3-13 zu dem kleinen, in seiner Bedeutung durchsichtigen Fragment 11,1-2 steht. Und hier läßt sich nun zunächst beweisen, daß die Verbindung der beiden Stücke nicht von unserm Apok. vorgenommen sein kann, ja überhaupt nicht von einem Apokalyptiker, der nach der Katastrophe vom Jahre 70 schrieb. Denn nur unter der Voraussetzung, daß die Stücke in einer vor dem Jahre 70 geschriebenen Apokalypse zusammenstanden, gewinnen sie einen guten Sinn und einen inneren Zusammenhang. Nach V. 1-2 wird nämlich, wie wir sahen, Jerusalem nicht zerstört, sondern nur den Heiden gegeben, während der Tempel sogar erhalten bleibt. Und eben nur in dieser Situation ist die folgende Weissagung denkbar. Der Bestand der Stadt ist hier ganz klar vorausgesetzt[1]. In der von den heidnischen Heeren besetzten Stadt haben wir uns die Szene der beiden Zeugen und des aus dem Abgrund auftauchenden Tieres zu denken. Das ganze Bild 11,1-13 kann nur von einem vor dem Jahre 70 schreibenden Apokalyptiker entworfen sein, für einen späteren sind disjecta membra. Da nun V. 1-2 ein in der Zeit der Belagerung Jerusalems geschriebenes Fragment ist, und da. V. 3-13 mit diesem Fragment vor 70 verbunden sein muß, so liegt es nahe, anzunehmen, daß die beiden Stücke überhaupt von jeher in einer Apk zusammengestanden haben. Dagegen erheben sich nun allerdings verschiedene Bedenken. V. 1-2 sind von einem jüdischen Zeloten geschrieben; können V. 3-13 von derselben Hand stammen? Der eine spezifisch christliche Satz ὅπου καὶ ὁ κύριος αὐτῶν ἐσταυρώθη[2] ließe sich mit leichter Mühe beseitigen und dem christlichen Apok. zuschreiben, wie denn hier die Kritiker nahezu einstimmig für Ausscheidung des Satzes eintreten. Sonst findet sich in dem Stücke nichts, das uns zwänge, christliche Herkunft anzunehmen. Auch den Zug der Auferweckung und Himmelfahrt der Zeugen darf man nicht dagegen ins Feld führen. Denn die Phantasie ist aus jüdischen Prämissen sehr wohl erklärbar und muß aus nichtchristlichen Prämissen verstanden werden, weil hier die Auferweckung nach 3½ und nicht nach 3 Tagen erfolgt (s. den Kommentar). Vom Standpunkt des zelotischen Verfassers, der sich mit seinen Parteigenossen im Tempel verschanzt hat, erklärt sich auch die Charakterisierung Jerusalems — ἥτις καλεῖται πνευματικῶς Σόδομα καὶ Αἴγυπτος — ausgezeichnet. Ein Einwand ließe sich noch gegen diese Kombination erheben. Man könnte fragen, ob ein in einer so akuten Situation schreibender Verfasser wie der von 11,1-2 seine Apokalypse mit einer so allgemein gehaltenen, rein phantastischen und nicht mehr geschichtlich


  1. Ich nehme als bewiesen an, daß die in V. 3-13 vorausgesetzte Stadt nur Jerusalem sein kann (s. den Kommentar).
  2. Außerdem möchte ich mit einiger Bestimmtheit den V. 9a καὶ βλέπουσιν – ἥμισυ dem Apok. letzter Hand zuweisen. Er enthält eine dem letzteren stereotype Redeweise und stört nur den Zusammenhang, namentlich wenn mit <tt<Pr. in 9b οὐκ ἀφήσει (non sinet) zu lesen ist.
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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. , Göttingen 1906, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S326.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)