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Das sind, wie es scheint, eingesprengte Fragmente. Was der Apok. damit sagen will, ist deutlich. In den Zeiten der letzten Not sollen aus dem neutestamentlichen Zwölfstämmevolk eine Anzahl unversehrt und unverletzt bleiben; sie tragen das Siegel des lebendigen Gottes. Daneben aber stellt der Apok. ein andres Bild, und hier steht er wieder ganz auf eigenem Boden. Seiner eignen Weissagung vorauseilend sieht er schon jetzt die endlose Schaar der Märtyrer der Zukunft als Sieger und Vollendete in weißen Kleidern mit Palmen in der Hand vor Gottes Thron stehen. Er hat uns hier wieder einer seiner herrlichsten Bilder geschenkt; er öffnet die Himmelstüre und läßt einen Strahl ewiger Herrlichkeit von dort in die gequälte Welt hineinleuchten. Auch dieses Lied vom Zuge der Auserwählten zu Gottes Thron hat seine Geschichte, mit ihm trat die nordische Malerei zum ersten Mal in einen Wettbewerb mit der ihm weit voraus geeilten italienischen ein. — Darauf ertönt die siebente Posaune, und nun tritt eine Stille von einer halben Stunde im Himmel ein 8,1. Mit einem merkwürdigen Mittel erzielt der Apok. hier eine große Stimmungswirkung: Die schwüle Ruhe vor dem gewaltigen Sturme. Im Folgenden ist er dann freilich der Schilderung der Situation nicht ganz Herr geworden. Die himmlische Tempelszenerie, die er uns zeichnet, will zu dem in Kap. 4 entworfenen Bilde nicht recht stimmen. Das Auftreten der sieben Posaunenengel und der Beginn des Blasens wird durch ein Intermezzo mit ziemlich stereotypem Inhalt 8,2-5 unterbrochen. Man sieht zunächst auch nicht recht ein, weshalb der Apok. aus dem siebenten Siegel noch einmal wieder eine ganze Plagenreihe, die Plagen der sieben (sechs) Posaunen (8-9), durch welche der Fortschritt der Weissagung nicht wesentlich weiter geführt wird, sich entwickeln läßt. Wir werden vielleicht annehmen dürfen, daß ihm die letzten beiden Posaunenplagen schon als überliefertes Gut vorlagen und er diese in irgend einer Weise unter die Vorzeichen erreichen wollte. Dazu würde die Beobachtung stimmen, daß die letzten Posaunen andrerseits als die drei Wehe bezeichnet, die fünfte Posaune mit dem ersten Wehe und die sechste Posaune mit dem zweiten Wehe gleichgesetzt werden (8,13; 9,12; 11,14). Von hier aus würde sich dann erklären, wie es kommt, daß anstatt der angekündigten drei Wehe (8,13) im Verlauf der Apk nur zwei tatsächlich gebracht werden. Übernommenes Material ist hier unvollkommen verarbeitet. In der Art, wie der Apok. die drei (zwei) Wehe zu den sieben (sechs) Posaunenplagen verarbeitet, zeigt sich vorübergehend ein gewisses Erlahmen seiner Kraft. Die vier ersten Posaunenplagen sind lange nicht so großartig und mächtig, wie die vier ersten Siegelplagen. Zwischen der sechsten und siebenten Posaune ist dann abermals der glatte Fortgang der Weissagung unterbrochen. Wir können uns das kaum anders erklären, als daß der Apok. das fremde, ihm wertvoll erscheinende Stück 11,1-13 hier in seiner Weissagung aufnehmen wollte; möglicher Weise gehörten auch Stücke von Kap. 10 dieser Quelle an. Jedenfalls will der Apok. in Kap. 10 in seiner jetzigen Gestalt sich selbst und seinen Lesern von dem weiteren Verlauf seiner Weissagung Rechenschaft ablegen. Der Seher hat von neuem die Erscheinung einer Offenbarungsmittlers.

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S144.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)