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Wissen, welches das einzelne Glied in einer jahrtausendlangen Kette zu sehen vermag, kann hier die Arbeit zu Ende führen, wir stehen am Anfang derselben und müssen uns damit begnügen, nur hier und da Einiges beizutragen. Ist man so genauer in das eigentliche Gewebe der Apk eingedrungen, so mag man dann auf Grund besserer Erkenntnis von neuem und genauer beginnen, Quellen zu scheiden. Aber freilich zur vollen Klarheit und zum Ziel werden wir dabei niemals kommen. Und es muß immer wieder betont werden: die Erkenntnis des Individuellen und Konkreten ist immer die Hauptsache in aller Geschichtsforschung und die Kenntnis der Tradition, des „Milieu“, immer nur Vorbedingung. — Das gilt namentlich auch für die Arbeit an der vorliegenden Schrift. Der Apokalyptiker ist nicht nur ein Schriftsteller, der altheilige, vielfach unverstandene Vorstellungen unbesehen weitergibt, sondern er schafft neu, und auch da, wo er einfach übernimmt, sieht er das Übernommene mit seinen Augen an, wie dies oft in ganz unscheinbaren Veränderungen überraschend zu Tage tritt. — Und es ist für uns viel wichtiger, hierauf zu achten, als das apokalyptische Material der Apk bis in seine letzten Instanzen zu verfolgen. Die charakteristische Weise zu beachten, in welcher der Apokalyptiker die Lehre von den sieben Geistern verwertet, ist fruchtbringender, als jene Anschauung bis in ihre vielleicht babylonischen Ursprünge zu verfolgen. Die Erkenntnis, daß das aus der Abyssos wiederkehrende Tier für den Apokalyptiker Nero ist, ist wichtiger, als zu wissen, was ursprünglich mit jenem Tier gemeint sei.

Nach allen diesen Untersuchungen kann dann erst die Frage erhoben werden, die im Anfang der kritischen Arbeit an der Apk sich fast allzusehr in den Vordergrund gedrängt hat, wieweit die Apk jüdisch oder christlich sei. Und dabei kann es sich nicht mehr um den Gesamtcharakter der Schrift handeln. Das Buch als ganzes und in seiner eigentlichen Grundtendenz ist nur auf christlichem Boden denkbar (s. o.). Für wichtige Partien der Apk hat bereits Spitta Vischers Kritik als bodenlos erwiesen. Es kann sich also nur bei einigen einzelnen Stücken des Buches um jene Fragestellung handeln. So muß denn eine Untersuchung in dieser Richtung für jedes abgeschlossene Fragment selbständig aufgenommen werden und wird selten mit einem runden Ja oder Nein abschließen können. Denn so sehr zugestanden werden muß, daß das apokalyptische Material der Schrift vielfach durchaus jüdische Färbung hat, so bleibt doch immer noch die Frage, ob die schriftliche Fixierung dieser Tradition, welche der Apok. vielleicht benutzte, christlichen oder jüdischen Ursprungs war.

VII. Wir versuchen zum Schluß die Komposition der vorliegenden Apk in ihren Grundzügen zu verstehen. Das Stück 1,1-3 ist als spätere — wahrscheinlich von dem Verfasser selbst nachgetragene — Überschrift des Ganzen zu verstehen. Mit einer Einleitung zu dem am Anfang des Buches stehenden Sendschreiben beginnt die Apk 1,4-20. Nach dem im Briefstil üblichen Gruß 1,4-6 und dem apokalyptischen Merkspruch 1,7-8 bringt die einleitende Vision das mächtige und strahlende Bild des Herrn, der in den folgenden Sendschreiben zu seiner Gemeinde redet. Es folgen die sieben

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S142.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)