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Ganz abgesehen davon, ob Vischer mit seiner These Recht hat, läßt sich nicht verkennen, daß die Gesamthaltung von Kap. 12 verglichen mit der ganzen des Buches eine fremdartige und besondere, die Vorstellungswelt desselben ungleich wilder, phantastischer und mythologischer ist, als in irgend einem andern Teil der Apk. In unverständlichen und aller Erklärung spottenden Hieroglyphen redet dies Stück zu uns und ist außerdem in sich selbst uneinheitlich (vgl. V. 6 und V. 14). In Kap. 14,1ff. liegt offenbar ein neuer und andrer Deutungsversuch der in Kap. 7 erwähnten 144000 vor. Die Phantasien Kap. 7,1-8 und 14,1-5 entstammen nicht einem und demselben Kopf. Große Schwierigkeiten macht 14,14—20. Schon hier vollzieht sich ein endgültiges allgemeines Gericht, aber man weiß nicht recht, von wem es gehalten wird, an wem es vollzogen wird, wie sich diese Scene zu den übrigen Gerichtsscenen verhält. Kap. 17 ist schon in seinem Verhältnis zu Kap. 13 ein völliges Rätsel. Die Doublette allein wäre in einer Apk voller wechselnder Bilder noch nicht so bedenklich, wie die totale Verschiedenheit der Bilder, ihre starken Varianten neben mannigfachen Übereinstimmungen. Außerdem durchkreuzen sich in Kap. 17 zwei Vorstellungen, nach der einen ziehen die verbündeten Könige zum Kampf gegen Rom aus, nach der andern versammeln sie sich zum Kampf wider das Lamm. Ferner ist doch alles in der Apk (vgl. 10,6; 11,14ff.) darauf angelegt, daß mit Kap. 12 der große letzte Entscheidungskampf beginnt, schon Kap. 13 drängt alles zur Katastrophe; daß diese erst Kap. 19,11ff. erfolgt, scheint seinen Anlaß nur in einem äußern Grunde zu haben. Die beiden charakteristischen Kap. 17 und 18 scheinen erst in einen größeren Zusammenhang hineingearbeitet zu sein. Endlich zeigen die Brüche in der Darstellung (vgl. 21,2 mit 21,9; 22,3ff. mit 21,22-27), daß das Gesicht vom neuen Jerusalem ebenfalls schon in einer schriftlich fixierten Form dem Verfasser vorgelegen haben wird. — Das alles sind unüberwindliche Hindernisse für die Annahme eines durchaus einheitlichen Charakters der Schrift.

Außerdem zeigen die einzelnen Partieen auch religionsgeschichtlich betrachtet verschiedene Höhenlagen. Man wird hier ja allerdings sehr vorsichtig sein müssen, gerade in Apokalypsen hält sich ungestört Altes neben Neuem. In dieser phantastischen Welt geht der Blick und Sinn für derartige Unterschiede verloren. Daß Kap. 1-3 ihrer Gesamthaltung nach von vielen übrigen Partieen des Buches stark differieren, wird fast jedermann zugeben. Kap. 7,1-8 mit seinem durchaus partikularistischen Standpunkt kann nicht von derselben Hand wie 7,9-17 stammen. Wer die Bewahrung des Tempels im letzten Gericht so bestimmt erwartete, wie der Verfasser von 11,1-2, zeichnete kaum das Bild vom himmlischen Jerusalem, in dem kein Tempel mehr sein wird (21,22). Über die Haltung von Kap. 12 war schon oben die Rede. Hier sei noch besonders hervorgehoben, daß die Rolle, die der Erzengel Michael in diesem Kapitel spielt, speziell auf dem Grund und Boden jüdischer Gedankenwelt verständlich wird. In der Schilderung von Gog und Magog 20,7-9 und dem neuen Jerusalem 21,24f. zeigt sich wieder ein naiv jüdisch-partikularistischer Standpunkt. Alle die genannten Stücke können kaum in

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S123.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)