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aufgegeben. Diese Methoden finden noch immer ihre Anhänger unter Auslegern zweiten und dritten Ranges, bei englischen Kommentatoren[1] und amerikanischen Traktatenschreibern. Namentlich für eine Reihe von Sekten gilt die Apk als ein die geschichtliche Zukunft enthüllendes Buch. Die apologetisch gestimmten wissenschaftlichen Forscher dagegen bewegen sich neuerdings fast ausnahmslos auf den Bahnen der endgeschichtlichen Auslegung. Sie sind damit, wie wir sehen werden, auf keinem ganz falschen Wege. In weiten Kreisen hat sich dagegen die zeitgeschichtliche Deutung der Apk Bahn gebrochen. Und trotz mancher Einseitigkeiten und Übertreibungen ist hier, wie es scheint, nach einer Richtung ein fester Grund und Boden erreicht. Die Beobachtung, daß die Apk im Kern ihrer Weissagung durch die damals im Volk weitverbreitete Erwartung des Nero redivivus bestimmt ist, ist meines Erachtens ein fester Punkt, der nicht wieder aufgegeben werden darf, der rocher de bronce der zeitgeschichtlichen Deutung, an dem alle Widersprüche bis jetzt machtlos zerschellt sind. Unter zeitgeschichtlicher Methode kann man nun freilich ein Doppeltes verstehen: bald die bestimmte Ausdeutung der Apk auf Vorgänge, die in der (nächsten) Vergangenheit des Apokalyptikers liegen, bald die Annahme, daß die Zukunftserwartungen des Sehers im allgemeinen durch den Horizont seiner zeitgeschichtlichen Situation bestimmt seien. Nur die letztere Anschauung wird im großen und ganzen der Psyche einer prophetischen Persönlichkeit, wie es unser Apok. ist, gerecht. Denn es kann nicht genug hervorgehoben werden, daß der Apok. (wie übrigens so mancher seiner Zunftgenossen) wirklich weissagen will und sich nicht mit dem kindlichen Spiel beschäftigt, längst Vergangenes noch einmal als zukünftig zu verkünden. Freilich kommt es auch in unserer Apk vor, daß der Apok. in den Rahmen seiner Weissagung vergangene Ereignisse, die ihm in bedeutungsvollem Zusammenhang mit der Zukunft stehen als zukünftig weissagt (vgl. Kap. 12). Aber dann haben diese Weissagungen immer nur einleitenden Wert; es darf also die zeitgeschichtliche Methode in ersterem Sinn nur vorübergehend angewandt werden. So ist denn auch in der spezifisch zeitgeschichtlichen Ausdeutung der Apk eine starke Rückströmung eingetreten. Während die alte rationalistische Exegese fast alles zeitgeschichtlich im strengen Sinn des Wortes ausdeutete, wurde in neuerer Zeit eine immer größere Zurückhaltung geübt; nur einige der neuesten Literarkritiker (Völter, Spitta, Erbes) fanden wieder mehr zeitgeschichtliche Beziehungen und lenkten in die alten Bahnen ein. Daneben aber blieb immer ein unerklärbarer Rest in der Apk, den man nach andern Methoden erklärte, ohne sich jedoch über die Verschiedenheit der Methoden und ihre gegenseitige Begrenzung klar zu werden. — Der zeitgeschichtlichen Methode zur Seite ist dann in neuerer Zeit die literarkritische getreten. Sie scheint endgültig eine ältere Theorie verdrängt zu haben, die Rekapitulationstheorie, die freilich bis in die neueste Zeit noch immer energische Vertreter gefunden hat (Hofmann, Hengstenberg, Ebrard, Kienlen, Löhr). Es ist interessant zu beobachten, wie die beiden


  1. Die übrigens trotzdem Achtungswertes leisten (z. B. Elliott, Alford).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S120.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)