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darzustellen. Denn die Grundideen der apokalyptischen Eschatologie, die Lehre von den beiden Weltaltern (Äonen), von der Nähe des Weltendes, Totenauferstehung und individueller Vergeltung, Herrschaft des Teufels in dieser Welt und Vernichtung seiner Herrschaft am Weltende, Weltgericht, Welterneuerung u. s. w. sind ja ganz in die neutestamentliche Frömmigkeit als deren Grundbestandteil übergegangen. Ihre Darstellung gehört in die biblische Theologie und nicht in die Einleitung zur Apokalypse. Es wird sich hier nur darum handeln, die formalen Eigentümlichkeiten apokalyptischer Schriftstellerei herauszustellen und die Apokalypse ihrer äußeren Anlage und Form nach als eine Spezies der Literaturgattung, zu der sie gehört, zu begreifen. Wir dringen in die Eigentümlichkeiten der apokalyptischen Stilart am besten ein, wenn wir sie mit dem Stil alttestamentlicher Prophetie vergleichen.

Es sind durchgreifende Unterschiede, die in Betracht kommen. In der Prophetischen Predigt steht das gesprochene oder geschriebene Wort, in der Apokalyptik das Bild an erster Stelle. Der Prophet hört und verkündet das Wort Jahves, der Apokalyptiker schaut und erzählt das Bild, die Vision. Auch im Prophetismus spielt die Vision, das Bild und namentlich die symbolisch-ekstatische Handlung, welche letztere in der Apokalyptik nicht weitergebildet wird, eine Rolle, aber nur eine sekundäre, in der Apokalyptik ist es beinahe ein und alles. Es sind natürlich hier wie überall Übergangsformen vorhanden, aber stellen wir auf der einen Seite etwa die Reden des Jeremias und auf der andern Seite die Offenbarung des Johannes, die in mancher Hinsicht, wie wir noch sehen werden, die klarste Ausbildung der apokalyptischen Stilgattung repräsentiert, so greifen wir den Unterschied.

Mannigfach sind die Formen, in denen sich die Apokalyptiker auf diesem Gebiet bewegen, die Vermittelungen, durch welche ihnen ihre Bilder zufließen. Vor allem spielt der

Traum eine große Rolle. Im Danielbuch werden die meisten der Zukunftsbilder im Traum geschaut. 2,1; 4,2; 7,1. („Daniel hatte einen Traum und Gesichte seines Hauptes auf dem Lager“), wahrscheinlich auch 8,1ff. Die beiden Visionen des Henochbuches 83f.; 85ff. sind Traumgesichte. Auch der slavische Henoch beginnt mit einem Gesicht, das Henoch auf seinem Bette hatte 1,3ff. Selbst in den spätesten Erzeugnissen der apokalyptischen Literatur scheut man sich nicht, einfach von apokalyptischen Träumen zu sprechen. Der Apokalyptiker Esra erlebt seine Visionen und seine apokalyptischen Meditationen „als ich einmal auf meinem Bette lag“ 3,1. Das fünfte und sechste Gesicht des IV Esra (vgl. 11,1; 12,3; 13,1.13), die Cedernvision und die Wolkenvision des syrischen Baruch (II Bar 36,1; 53,1, vgl. noch Test. Levi 2; 8; Joseph. 19) werden deutlich als Traumgesichte gekennzeichnet.

Mit dieser Charakterisierung des apokalyptischen Gesichtes als eines Traumgesichtes soll natürlich nicht gesagt sein, daß die Apokalyptiker nicht von der Realität der im Traum empfangenen göttlichen Offenbarung überzeugt gewesen seien. Man lebt der naiven Überzeugung, daß Träume unmittelbar

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen 1906, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S003.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)