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Lehmgruben sind vorhanden. Ein Versuch, im Storchwald Steinkohlen zu graben, blieb ohne Erfolg. Auf dem Katharinenberg ist ein Erdfall zu bemerken.

Der höchste Punkt der Markung, der sog. Heubirken, gewährt eine weite Aussicht bis nach dem Wartberg bei Heilbronn, Löwenstein und Waldenburg.

Die Einwohner, vor hundert Jahren noch vielfach mit fahrendem Musikantenvolk vermischt, das England, die Niederlande und Frankreich durchzog, sind nun mehr seßhafte, ordnungsliebende Bürger geworden, welche aber durch Gewerbe und Handel mehr in den Verkehr der Welt hineingezogen werden, als dies bei der fränkischen Bevölkerung sonst der Fall ist. Sie sind darum weltgewandter, aufgeweckter und redefertiger als ihre Nachbarn und theilweise auch dessen bewußt. In der Nachbarschaft gilt der Berlichinger für „aufgeklärt“. Kirchlicher Sinn und Sparsamkeit ist vorherrschend.

Wie der Volkscharakter, so zeigt auch die Konstitution und Gestalt einige Abweichungen. Gegenüber der mittleren Körperkraft und gedrungenen Gestalt der Franken begegnet man in Berlichingen hochgewachsenen, derbkräftigen Männern. Auch das Lebensalter scheint durchschnittlich ein höheres zu sein als in der Umgegend. 1879 waren 7 Einwohner über 80 Jahre alt.

Eine Folge des größeren Verkehrs ist der starkgemischte Dialekt des Ortes, der starke Übergänge ins Schwäbische und Rheinfränkische zeigt und auch wohl von dem früher stärker vertretenen israelitischen Element beeinflußt ist.

Die Volkstracht ward vollständig durch die städtische verdrängt.

Die Hauptbelustigung des Volks ist im Sommer Kegelschieben. Tänze finden zweimal im Jahre statt. Von dem eigenthümlichen Gebrauch gesegneten Weins bei Trauungen siehe oben allg. Theil.

Der Wohlstand der Gemeinde ist in sichtlichem Steigen. Es verdient alle Anerkennung, daß es der Gemeindeverwaltung gelungen ist, nicht nur eine schwere Schuldenlast von 39.000 fl. zu tilgen, sondern auch ein ansehnliches Gemeindevermögen zu sammeln und daneben ein Schul- und Rathhaus zu erwerben.

Die Vermögensverhältnisse sind insofern nicht ungünstig, als allen Einwohnern die Möglichkeit des Verdienstes in ausgiebigerer Weise als in den meisten Orten des Oberamts sich bietet.

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_383.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)