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2. Sitten und Gebräuche in Bezug auf den Lauf des Menschenlebens von der Wiege bis zum Grab.

Bei der Geburt von Knaben trägt der Vater Handschuhe auf dem Gang zum Pfarrhaus, um die Taufe zu erbitten (West.). Bei Zwillingen muß er manches Neckwort hören, bei Spätlingen heißt’s: Mueß der N. N. au no da Wecksack tragen? (Fleisch und Wecken holt der Franke im rothgestreiften Säckchen in der Stadt). Gevattern müssen „gewonnen“ werden. Gevatterschaft ist aber eine Ehre, gegenüber den Armen eine Pflicht, mit der man „a Gottsla (Gotteslohn) thut“, darf also nicht verweigert werden. Freilich: Z’Gvatter stehn, Hochzig gehn bringt viel Ehr, macht den Beutel leer,

Vor der Taufe. Man zeigt das Kind nur Hausgenossen, brennt jede Nacht ein Licht, leiht 3 Tage nach seiner Geburt nichts aus dem Haus (wegen der Hexen) und hängt die Windeln nie zum Trocknen ins Freien wegen der Gichter. In den evangelischen Orten war vor dem Taufakt „die Kindszech“, zu der sämmtliche Nachbarinnen geladen waren. Sie brachten der Wöchnerin Eier, Zucker, Kaffee, erhielten dafür einen Weck und tranken dabei manchmal so „wacker“, daß sie den Taufzug nicht mehr zur Kirche begleiten konnten. Die Kindszech besteht noch in den katholischen Orten, aber nach der Taufe.

Die Pathen „versprechen“ das Kind. Schreit es, ein Vorzeichen des Todes – so muß der Pathe, der es gehalten, der Hebamme eine Maß Nottelwein zahlen fürs Notteln d. h. Wiegen auf den Armen. Der Pathe, der es beim Taufakt gehalten, muß so rasch als möglich nach Hause eilen, damit das Kind rasch gehen lernt. West. Dem Pfarrer und Lehrermeßner wird von den Pathen Geld „eingebunden“, dem Täufling der Doutenthaler (einst Kronenthaler, jetzt 5 M.) ins Wickelkissen gesteckt. Im untern Jagstthal schiebt man dem Täufling in ein Papier geschlagen, Federnhalter, Federn, Geld, Heiligenbilder und Rosenkränzchen unter den Rücken.

Nach der Taufe. 14 Tage darauf bringen die Gevattern der Wöchnerin das Gevatterbrot, 2 Laibe Brot, Fleisch und Reis. Den Anschnitt vom Brot bekommen sie mit nach Hause, sonst wird das Kind geizig. Aussegnung der Wöchnerin darf nur am Dienstag und Donnerstag, nicht am Samstag vorgenommen werden, sonst wird das Kind nie rechtzeitig mit der Arbeit fertig. Erst 4 Wochen nach der Niederkunft darf die Wöchnerin Wasser holen, sonst wächst im Brunnen Unkraut und Ungeziefer. Zum ersten Kirchgang nimmt sie gesalzenes Brot mit. Zahnt ein Kind schwer, so muß einer lebendigen Maus der Kopf abgebissen und derselbe dem Kind in einem Säckchen um den Hals gehängt werden. Will die Mutter das Kind entwöhnen, so kauft sie ein Milchbrot, nimmt dasselbe mit einem Ei zur Kirche und eilt unbeschrieen aus der Kirche nach Hause, stillt das Kind zum letzten Mal und gibt ihm dann das Brot und Ei mit den Worten:

Da hesch a Semmele for dein Memmele
Und a Ale for dein G’schrale.

Das Pietätsverhältnis zwischen Douten und Dötla besteht lebenslang. Will das Kind nicht gedeihen, kauft der Dout ihm einen Löffel, damit es in der Schule gut „lehrt“, kauft er ihm das erste Buch.

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_124.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)