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von 1873 die Bemerkung, daß entzündliche Krankheiten, Lungenentzündung, Rothlauf und Sonnenstich häufig gewesen seien.

Bezüglich des endemischen Krankheitsgenius, d. h. der eingewurzelten, an bestimmte umschriebene Orte gebundenen Krankheiten führt ein Bericht des Oberamtsarztes vom Jahr 1839 eine beträchtliche Anzahl kretinischer Individuen auf, 115 im Kocher-, 54 im Jagstthal, einzelne auch auf der Hochfläche. Nach der Zählung des Dr. Koch (1875) waren in Württemberg 3810 Idioten (angeborner Schwachsinn, Blödsinn, Taubstummheit) = 1 auf 482 Einwohner, im Oberamt Künzelsau 52 = 1:554. Geisteskranke (erworbene Geistesstörung) waren es 3948 = 1:465, im Oberamt 60 = 1:480. Die Zahl der Epileptischen beträgt nach der Zählung von 1879 im Oberamt 21.

Von eigenen Erfahrungen kann der Verfasser erst seit dem Jahr 1878 reden und fügt sie bis zur neuesten Zeit hier bei; sie beschränken sich auf das seither fast unausgesetzte Vorkommen von Scharlach und Diphtherie im Bezirk und zwar theils in einzelnen gleichzeitigen oder nach Zeit und Ort sporadischen Exemplaren, höchstens in Familien- und Hausepidemien, theils aber auch in einer auf viele Orte zugleich ausgedehnten bösartigen Epidemie seit Herbst 1881. In derselben sporadischen Weise taucht immer auch der Typhus auf, nur die Gemeinde Ailringen wurde vom Herbst 1879 bis gegen Herbst 1880 von einer schweren Epidemie heimgesucht. Morbillen und Keuchhusten waren vornehmlich im Jahr 1881 verbreitet. Varioloiden wurden im Jahr 1879 in 2 Gemeinden beobachtet. Brechruhr kommt unter Kindern und Erwachsenen jeden Sommer vor.

Entzündliche Krankheiten scheinen nicht sehr häufig zu sein, um so häufiger aber Geistesstörungen, Affektionen der Nervencentren überhaupt, ferner die chronische Dyspepsie, Herzleiden und Hernien. Verhältnismäßig selten kommen Luxationen und Fracturen vor. Der Bezirk scheint abgesehen von den Epidemien mehr der Sitz chronischer als akuter Krankheiten zu sein.

Bezüglich der Leistungsfähigkeit des weiblichen Geschlechts möge schließlich angeführt werden, daß, da jährlich 86 künstliche Geburten auf ein beliebiges Oberamt des Landes kommen,[1] speziell auf das Oberamt Künzelsau 70, auf 18 Geburten überhaupt eine Operation, letzteres auch in dieser Richtung sich nicht ungünstig erweist.

II. Charakter.

Die Bevölkerung des Bezirks gehört mit Ausnahme des im Abnehmen begriffenen israelitischen Elements dem fränkischen Volksstamme an. Den Kern bildet der ostfränkische Stamm, der in der östlichen Hälfte des Bezirks wie in den benachbarten Bezirken Gerabronn und Mergentheim sich reiner erhalten hat, während von Südwesten das schwäbische, von Nordwesten das

  1. „Medizinalbericht von Württemberg“ Württ. Jahrbücher 1877 II S. 180.
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Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_114.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)