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Walter Benjamin: Das Leben der Studenten. In: Der Neue Merkur 2, S. 727–737

Kunst bedingt, deutbar als Ablehnung des unmittelbaren, nicht aufs Amt bezogenen Schaffens. Ganz von innen heraus erscheint dies in der Unmündigkeit und Schülerhaftigkeit des Studenten. Vom ästhetischen Gefühl aus ist vielleicht das Auffallendste und Peinigendste an der Erscheinung der Hochschule die mechanische Reaktion, mit der die Hörerschaft dem Vortragenden folgt. Dies Maß von Rezeptivität könnte nur durch eine wahrhaft akademische oder sophistische Kultur des Gesprächs aufgewogen werden. Davon sind auch die Seminarien durchaus entfernt, die sich vorzüglich ebenso der Vortragsform bedienen, wobei es wenig verschlägt, ob Lehrer oder Schüler sprechen. Die Organisation der Hochschule beruht nicht mehr auf der Produktivität der Studenten, wie es im Geiste ihrer Gründer lag. Sie dachten den Studenten wesentlich als Lehrer und Schüler zugleich; als Lehrer, weil Produktivität gänzliche Unabhängigkeit bedeutet, Hinblick auf die Wissenschaft, nicht mehr auf den Lehrenden. Wo die beherrschende Idee des Studentenlebens Amt und Beruf ist, kann sie nicht Wissenschaft sein. Sie kann nicht mehr in der Widmung an eine Erkenntnis bestehen, von der zu fürchten ist, daß sie vom Wege der bürgerlichen Sicherheit abführt. Sie kann so wenig in der Widmung an die Wissenschaft bestehen, als in der Hingabe des Lebens an eine jüngere Generation. Und doch ist dieser Beruf: zu lehren – wenn auch unter ganz anderen Formen als heutigen – mit jeder eigensten Erfassung der Wissenschaft geboten. Solche gefahrvolle Hingabe an Wissenschaft und Jugend muß als Fähigkeit zu lieben schon im Studenten leben und die Wurzel seines Schaffens sein. Dagegen steht sein Leben im Gefolge der Alten, er lernt dem Lehrer seine Wissenschaft ab, ohne ihm im Beruf zu folgen. Er verzichtet leichten Mutes auf die Gemeinschaft, die ihn mit den Schaffenden verbindet und die ihre allgemeine Form allein von der Philosophie her erhalten kann. An einem Teil soll er zugleich Schaffender, Philosoph und Lehrer sein und dies in seiner wesentlichen und bestimmenden Natur. Von hier aus ergibt sich Form des Berufes und Lebens. Die Gemeinschaft schöpferischer Menschen erhebt jedes Studium zur Universalität: unter der Form der Philosophie. Solche Universalität gewinnt man nicht, indem man dem Juristen literarische, dem Mediziner juristische Fragen vorträgt (wie manche Gruppe von Studenten versucht), sondern indem die Gemeinschaft sorgt und von selbst es bewirkt, daß vor aller Besonderung des Fachstudiums (die sich doch nur mit Hinsicht auf den Beruf erhalten kann), über allem Betriebe der Fachschulen, sie selbst, die Gemeinschaft der Universität als solche, Erzeugerin und Hüterin der philosophischen Gemeinschaftsform sei, wiederum nicht mit den Fragestellungen der begrenzten wissenschaftlichen Fachphilosophie,

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Walter Benjamin: Das Leben der Studenten. In: Der Neue Merkur 2, S. 727–737. Müller, München und Berlin 1915, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Benjamin_Das_Leben_der_Studenten.djvu/7&oldid=- (Version vom 6.4.2018)