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die koloristische Bereicherung des Ausdrucks durch archaisierende Farben. Man findet ebenfalls hierfür Gegenstücke in der Entwicklung der modernen bildenden Kunst, namentlich der Malerei und Bildhauerei, aber auch der Architektur. Es ist überall das gleiche Bestreben, neue Ausdrucksmöglichkeiten zu gewinnen durch Einbeziehung von Stilelementen längstvergangener Zeiten, Stilelementen, für deren Anwendung heut ein unmittelbarer Zwang nicht mehr vorliegt und die nur gleichsam als ornamentaler Ausputz zur Geltung kommen.

Überblickt man all diese Einzelbestrebungen auf musikalischem Gebiet im Zusammenhang, so kommt man zu der Überzeugung, daß sie doch nicht nur spielerische Laune, Streben nach auffallenden und seltsamen Wirkungen, Verlegenheit und Gedankenarmut bedeuten. Einzelne solcher Motive mögen wohl hier und da wirksam sein – aber damit erklärt man nicht eine Bewegung, die, wie die Tatsachen zeigen, von den verschiedensten Punkten aus einsetzt und nicht etwa nur eine zufällige Episode darstellt, sondern mehr oder weniger alle schöpferischen Geister erfaßt. Das Ziel, dem diese Bewegung zusteuert, sehe ich zunächst in der Gewinnung einer neuen Melodik, der die heutige Mischung von Ganz- und Halbtönen nicht mehr genügt. Sie strebt nach feineren, mannigfaltigeren, reicheren Beziehungen zwischen den Einzeltönen, Beziehungen, in denen ein stärkeres melodisches Eigenleben, eine zartere, feiner gegliederte Psyche sich offenbaren kann, als dies gegenwärtig der Fall ist. Aber – so wird entgegnet – dies widerspricht dem Wesen der neuen Musik. Diese neue Musik zeichnet sich dadurch aus, daß sie von Grund auf unmelodisch ist. Woher kommt denn der Schrei nach Melodie, der Ruf „Zurück zu Mozart“? Doch nur daher, weil wir heute Melodien überhaupt nicht mehr zu hören bekommen, weil die modernen Komponisten keine Erfindung haben und sich darauf beschränken, mehr oder minder interessante Geräusche zu produzieren. Nun –

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Paul Bekker: Neue Musik. Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt, 1923, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bekker_Neue_Musik_Vortrag.djvu/012&oldid=- (Version vom 31.7.2018)