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heiligen Schrift und der von ihr umschlossenen heiligen Geschichte die ewigen Maaße und Gesetze für alle menschliche Entwicklung, für die Geschichte der Völker, insonderheit der christlichen Völker niedergelegt. Wir wollen an der Hand unseres Textes

eine rechte Friedensfeier

begehen, und glauben eine solche begehen zu können

1) in einer rechten Siegesfeier,
2) in einer rechten Gedenkfeier,
3) in einer rechten Dankfeier.


I.

 „Man singet vom Sieg in den Hütten der Gerechten,“ so heben wir nach unserm Texte an. Unser Friedenslied ist ein Siegeslied; das ist das Schöne und Unvergleichliche an dem Inhalt unserer Feier, daß Friede und Sieg einander die Hand bieten, in einander verschlungen sind. Friede und Sieg – wie schön lautet jedes für sich, wie viel schöner und herrlicher ist aber ihre gegenseitige Verbindung. Friede und Sieg – das ist der Inhalt wahren christlichen Lebens, das der Grundton der Feier der Vollendung. Friede und Sieg hat Gott nun im schönsten Segensbunde unserem Volk und Vaterland entgegengebracht. Es kann ja einen Frieden geben ohne Sieg und einen Sieg, dessen volle Segensfrucht der Friede nicht behauptet. Das erste erfahren unsere Gegner, das andere haben wir selbst in diesem Jahrhundert einmal erfahren.

 O blicket hinüber nach dem Lande, das der Schauplatz des furchtbaren Weltkampfes war! Auch dort sehnte man sich nach dem Frieden, und Viele werden gewiß jetzt auch dort Gott auf den Knieen für den geschenkten Frieden danken. Aber welche Friedensfeier wird ihnen zu Theil, Angesichts einer Demüthigung, wie sie diesem Volke kaum je zu Theil geworden, Angesichts der verstörten Städte, der niedergebrannten Dörfer, der Auflösung des Staates, Angesichts aller Greuel der Verwüstung! Mancher kehrt zurück und sucht umsonst die Stätte seines frühern Wohnens, ist ein Fremdling in seiner Heimath geworden. Und wir dagegen, Geliebte! Auf welchen Siegeslauf dürfen wir durch Gottes Gnade von der Höhe des Friedens zurückschauen, auf zwanzig gewonnene Schlachten, zwanzig eroberte Festen, auf die bezwungene Weltstadt, diese Babel der Neuzeit, das niedergeschlagene Feindesvolk. Kaum daß der Feind über unsere Grenzen geschaut, kaum daß unsere vaterländische Erde mit einem Tröpflein Blut genetzt wurde – o welche Seufzer und Wehklagen sind uns erspart worden!