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Markstein gegen heidnischen Moralismus aufgerichtet. Wird überhaupt in’s Auge gefaßt, daß nach Justin’s Anschauung das Christenthum seinen heilkräftigen Ausgang in Glaube, Sündenvergebung und Wiedergeburt, sein Ziel und seine allvermögende Ueberwindekraft in der Hoffnung hat, daß die Hoffnung auf einem klar erfaßten Komplex göttlicher Thaten und Heilsveranstaltungen, im letzten Grunde auf Gnade und Verheißung ruht, und das Hoffnungsgut bei Justin noch nicht, wie dies sobald geschah, durch besondere, dem Jenseits angehörige Büßungen und Genugthuungen eingeschränkt und zurückgeschoben erscheint, wie denn der Märtyrer Lucius Gott dankt, daß er sterbend zum Vater und König des Himmels wandere (II, 2); daß die Ethik Justin’s inhaltlich angesehen, zwei Punkte ausgenommen, eine Veräußerlichung des Bußbegriffs und die Billigung einer auffallenden ascetischen Verirrung (I, 29), ein ächt christliches Gepräge hat, indem sie Gottesliebe bis zur unbedingten Selbstaufopferung und Lebenshingabe, fürbittende Feindesliebe, strengste Wahrhaftigkeit – dies auch im Gegensatz zu der Platon’schen Ethik – fordert und als tatsächlich geübt allenthalben voraussetzt, so wird man immerhin sagen dürfen, daß das Christenthum Justin’s ungeachtet seines stark ergistischen Zuges ein verhältnißmäßig reines, ungefälschtes, den biblischen Charakter nicht verleugnendes ist. Wenn Thiersch sagt: „So stand sie da, die altkatholische Kirche, ein freier, reiner, heiliger, einiger, geheimnißvoller Bund, nicht von dieser Welt, mächtig in der Hoffnung einer künftigen Herrlichkeit, wartend der Wiederkehr ihres Herrn vom Himmel und seines Weltgerichts, hoffend auf die Aufrichtung seines Friedenreiches auf Erden (Kathol. u. Protest. I, S. 170 f.)“, so ist es gerade Justin, der in dieser eschatologischen Gesinnung und Richtung vorangegangen ist und vorwiegend dazu verholfen hat, dem Christenthum der altkatholischen Kirche diesen wahrhaft ökumenischen Charakter einzuprägen. Von dem hoffnungsstarken, heiligungseifrigen, heldenmüthigen, opferfreudigen Christenthum des Märtyrers hat die Kirche aller Zeiten, hat auch der Christ des neunzehnten Jahrhunderts zu lernen.

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 Man fragt sich bei der v. Engelhardt’schen Darstellung: welches denn das Verdienst Justin’s gewesen ist? Wir wüßten nicht, was darauf geantwortet werden könnte. Und wenn das Christenthum Justin’s, wie es v. E. auffaßt, wirklich die Anfänge der katholischen

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/68&oldid=- (Version vom 1.10.2017)