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da er an den Anfang einer neuen Epoche kirchengeschichtlicher Entwickelung gestellt ist und den hiermit gegebenen Wendepunkt ohne Frage mit bedingt hat.

 Wie gehen aber die Urtheile über Justin heute noch auseinander! Die frühere Zeit war einig. Der Ruhm seiner Gelehrsamkeit, seiner literarischen Leistungen, seiner Rechtgläubigkeit, seiner von der Glorie des Märtyrerthums umstrahlten, ehrwürdigen Persönlichkeit geht durch das ganze Alterthum hindurch. Die erste Kritik übten die Magdeburger Centurien, die aber Justin gleichwohl noch in wesentlichen Stücken als Repräsentanten des ächten apostolischen Glaubens ansehen. Erst mit Semler beginnt eine schärfere Kritik. Er rechnet Justin zu den Kirchenlehrern, welche nicht „beglaubte und zuverlässige Kenner und Ausleger der christlichen Lehre, sondern eigene Urheber einer gemischten Verbindung platonisch jüdischer Einbildungen und Favoritideen mit einigen Ausdrücken der Apostel“ sind, und nennt ihn einen „ungesunden Verfasser“ mit „elenden Einfällen“. Daß auf dieses Urtheil doch nicht allzuviel zu geben ist, dürfte daraus hervorgehen, daß Semler an derselben Stelle (Anm. u. Vorrede zu S. J. Baumgarten’s theol. Streitigkeiten) nicht blos von dem „historischen Geschmier“ des Papias redet, sondern auch Tertullian einen „elenden Verfasser“ nennt, „der so leicht mögliche Einfälle in Wirklichkeit verwandelt (I, S. 32. 35)“.

 In unsern Tagen kann man das gerade Entgegengesetzte in Beurtheilung Justin’s lesen. Während z. B. Ebrard von dessen geistvoller Lösung der tiefsten Probleme redet (K.- u. Dogmengesch. I, S. 59), auch Kurtz ihn tief und geistvoll nennt (Handb. d. allg. K.-G. I, S. 264), urtheilt Hauck bezüglich Justin’s in seiner trefflichen Schrift über Tertullian: „Kaum begegnet ein tiefsinniger Gedanke, oder eine großartige Anschauung, sondern im Kreise des Gewöhnlichen hielt er sich durchaus (S. 55)“. Für sachlich berechtigt halten wir letzteres Urtheil nicht. Während von Otto, dessen Arbeiten über Justin vom Jahre 1841 an, wo seine gekrönte Preisschrift: de J. M. scriptis et doctrina erschien, durch klares, nüchternes, geschichtlich sicheres Urtheil den wohlthuendsten Eindruck machen, behauptet, Justin habe der platonischen Philosophie ein möglichst eingehendes Studium gewidmet (Zur Charakteristik des heil. Just., Sitzungsberichte der kais. Academie der Wissensch. in Wien, 8. Band S. 174), Ritter seine „gelehrte Bildung“ rühmt (Gesch. der

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.10.2017)