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sehr eigentümlich, daß gleichwohl Philosophen von Fach von diesem Getränktsein der Justin’schen Schriften von philosophischen Lehren und Anschauungen weniger wahrnehmen. Heinrich Ritter findet bei Justin wenig Philosophie, seine Beweise tragen keinen philosophischen Charakter an sich; seine Lehre ist nicht ohne philosophischen Hintergrund; er stand in einem Kreise philosophischer Begriffe und sah diese mit Auswahl für geeignet an, „der christlichen Lehre“ einverleibt zu werden und zur Stütze zu dienen (a. a. O. V, 300. 308). So sehr sich Ritter teilweise mit v. Engelhardt berührt, so ist sein Gesammturtheil über Justin doch von dem letzteren wesentlich verschieden. Auch Huber erkennt an (Philosophie der Kirchenväter S. 15. 19), daß Justin in Christo ein neues Lebensprinzip in die Welt eingetreten sah, und daß seine Lehren größtenteils mit den christlichen Dogmen übereinstimmen. Es ist merkwürdig, daß während neuester Zeit Theologen in Justin nur Metaphysik und Philosophie wahrnehmen, Philosophen ihm den Rang als Theologen ungeschmälert lassen und seine wesentliche Uebereinstimmung mit den Lehren des Christenthums anerkennen.

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 Es ist allerdings ein großes, forschungswürdiges Problem, das Verhältniß des Christentums zu der sittlich-religiösen Denkweise des Alterthums überhaupt und nach seiner besonderen Erscheinung in den Apologeten näher zu bestimmen. S. 455 ff. sagt v. E. hierüber Beifallswerthes. Wenn wir nun aber jene bereits angeführte Definition „des Justin’schen Christentums“ S. 482 näher ansehen, wonach dieses nichts anderes als der wieder aufgenommene oder vielmehr festgehaltene Moralismus des Heidenthums ist, so müssen wir vor Allem bemerken, daß hiernach Justin tiefer zu stehen kommt als so viele Weise des Alterthums, deren Richtung doch offenbar etwas Höheres, etwas Idealeres hatte als Justin nach dortiger Darstellung, und die schlechterdings nicht als reine Moralisten zu bezeichnen sind. Justin erscheint von Neuem als eine wunderlich widerspruchsvolle Persönlichkeit. Offenbar hat vor Allem ein religiös ideales Streben Justin der Platon’schen Philosophie zugeführt („es war vielmehr das religiöse als das philosophische Interesse, was ihn dem Platonismus zuführte“, Neander, Dogmengeschichte I, 64). Es geht dies klar aus dem Dialog hervor. Nachdem er nun auch in der Platon’schen Philosophie trotz der Ideenlehre, die seinem Geist Flügel verliehen, keine Befriedigung, wohl

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/59&oldid=- (Version vom 1.10.2017)