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eigene Lehren vorträgt, sondern nur mit einem fremden Lehrstoff operirt? Justin hat doch das alte Testament gelesen, er lebte und webte in ihm; er citirt wie oft Jes. 53; die Gedanken von Sünde und Sühne, ja von stellvertretender Genugthuung waren auch dem Alterthum nicht fremd (vergl. Nägelsbach, Nachhomer. Theologie S. 318 ff., 355). Justin hält allerdings die Objektivität des Erlösungswerkes nicht immer ganz strenge fest, aber wenn er die „Wirkungen“ des Todes Christi nur denen zu gute kommen läßt, die sich bekehren (S. 301), so ist dies doch wohl so unrichtig nicht. Wenn Justin das Heilswerk und die Heilsaneignung nicht mit erwünschter Klarheit auseinander hält, weil er die volle Einsicht in den biblisch paulinischen Glaubensbegriff nicht hat, so hat er doch das Erlösungswerk selbst als für Alle gültig angesehen (I, 63; Dial. 95). Daß er eine ganz unrichtige Vorstellung über diese Dinge gehabt habe (S. 302), ist eine unbillige Behauptung und wiederspricht übrigens der Ansicht einer blos formelmäßigen Wiedergabe des Gemeindeglaubens; eine bestimmte Vorstellung hat hiernach J. denn doch, wenn auch eine unrichtige. Justin sieht das Erlösungswerk im Zusammenhang des Ganzen an. Wenn Justin beschuldigt wird, daß er die christliche Lehre umdeute, sofern sie ihm nicht Offenbarung unbekannter Rathschlüsse, sondern nur völlige Bekanntmachung des bisher schon mehr oder weniger Bekannten sei (S. 452), so ist dies offenbar zu weit gegangen. Justin redet allerdings teilweise sehr intellektualistisch über das Christenthum, betrachtet es öfters anscheinend nur als Lehre und Erkenntniß. Wie er aber bei einseitiger Betonung des Ersteren das Andere nicht verabsäumt, davon ist vielleicht II, 13 der merkwürdigste Beweis. Justin sagt hier, daß Philosophen, Dichter und Geschichtschreiber Einzelnes richtig erkannt, es aber doch zu einer völligen, widerspruchlosen Wahrheits-Erkenntniß nicht gebracht haben. Was immer, sagt nun Justin, von Allen richtig vorgebracht worden ist, das gehört uns Christen an, fügt aber sofort bei: denn wir beten nächst Gott den von dem ungezeugten und unaussprechlichen Gott geborenen Logos an und lieben ihn, weil er um unsertwillen Mensch geworden ist, damit er unserer Leiden theilhaft die Heilung uns brächte. Hier ist Lehre und Thatsache auf’s Innigste verbunden. Wenn Justin ferner sagt, daß Christi Lehre zur ἀλλαγή und ἐπαναγωγή des Menschengeschlechts diene (I, 23), so ist dies nicht im Gegensatz zur Thatsächlichkeit

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/48&oldid=- (Version vom 1.10.2017)